Medizinprodukte

Einsatz von Hochrisikomethoden im Krankenhaus erfolgt weiterhin im Blindflug

Juli 2022

Der besorgniserregende Trend für Patientinnen und Patienten bei Hochrisikomedizinprodukten bestätigt sich aktuell. Vor einem Jahr stellten wir in „90 Prozent“ die damals acht Bewertungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach § 137h SGB V zu sog. Hochrisikomedizinprodukten und deren Ergebnisse vor und berichteten gleichzeitig von den Gefahren für die Patientensicherheit. Inzwischen fanden weitere sieben Informationsübermittlungen an den G-BA zu „innovativen“ Krankenhausmethoden statt, die für uns in Teilen alarmierend sind.

Aktuelle Verfahren nach § 137h SGB V

  • Quelle: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/38
  • Beschreibung: Bei einer Lebertransplantation soll das entnommene Organ während des Transports im „natürlichen“ Zustand gehalten werden, also auf Körpertemperatur und von Flüssigkeit durchströmt, um das Transplantationsergebnis zu verbessern.
  • Bewertungsergebnis: Bewertungsverfahren bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen.
  • Quelle: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/46
  • Beschreibung: Bei Patientinnen und Patienten mit nichtoperablen, sog. lokal fortgeschrittenen Pankreastumoren (Bauchspeicheldrüsenkrebs) sollen in Ergänzung zu einer Chemotherapie mit radioaktivem Phosphor markierte „Mikropartikel“ in den Tumor eingebracht werden. Diese Art der Strahlentherapie soll zu einer Verkleinerung des Tumors führen und eine anschließende operative Entfernung ermöglichen.
  • Bewertungsergebnis: Weder Nutzen noch Unwirksamkeit oder Schädlichkeit sind als belegt anzusehen. → Studie notwendig

  • Quelle: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/41
  • Beschreibung: Bei Patientinnen und Patienten mit krampfartigen Verengungen in den Hirngefäßen (Vasospasmus) nach Gehirnblutung wird ein Medizinprodukt, der Stentretriever, in die betroffenen Arterien eingebracht, um diese aufzudehnen und dadurch eine Minderdurchblutung zu verhindern.
  • Bewertungsergebnis: Weder Nutzen noch Unwirksamkeit oder Schädlichkeit sind als belegt anzusehen. → Studie notwendig

  • Quelle: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/9
  • Beschreibung: Bei Patientinnen mit Uterusmyomen (häufigster gutartiger Tumor bei Frauen) soll die Methode, die unter Ultraschallführung erfolgt, durch die Anwendung von Hochfrequenzenergie eine Verödung der Tumore erreichen und diese dadurch verkleinern. Damit sollen mit Myomen einhergehende Beschwerden, wie starke Regelblutung oder Schmerz, dauerhaft beseitigt werden.
  • Bewertungsergebnis: Weder Nutzen noch Unwirksamkeit oder Schädlichkeit sind als belegt anzusehen. → Studie notwendig

  • Quelle: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/48
  • Beschreibung: Bei Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz (Herzschwäche) nach einem Herzinfarkt wird bei der Methode die linke Herzkammer durch ein spezielles Verankerungssystem verkleinert, um die ursprüngliche Funktion dieser wiederherzustellen.
  • Bewertungsergebnis: Verfahren ohne Bewertungsentscheidung beendet, da die formalen Voraussetzungen für ein Bewertungsverfahren gemäß § 137h SGB V nicht erfüllt waren.
  • Quelle: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/47
  • Beschreibung: Bei medikamentös austherapierten und herkömmlich nicht operierbaren Patientinnen und Patienten mit Aortenklappenstenose (Verengung der Aortenklappe, die den Blutstrom aus dem Herzen behindert) und/oder Aortenklappeninsuffizienz (unzureichendes Schließen der Aortenklappe mit der Folge, dass das Blut aus der Hauptschlagader in die linke Herzkammer zurückfließt) wird über einen Katheter eine neue Aortenklappe mit einem speziellen Befestigungsmechanismus eingesetzt.
  • Bewertungsergebnis: Verfahren ohne Bewertungsentscheidung beendet, da die formalen Voraussetzungen für ein Bewertungsverfahren gemäß § 137h SGB V nicht erfüllt waren.
  • Quelle: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/52
  • Beschreibung: Bei Patientinnen und Patienten mit vorliegender Verstopfung eines Blutgefäßes der Lunge (Lungenarterienembolie), soll das über einen Katheter eingebrachte Medizinprodukt die Verschlussursache, den sog. Thrombus, zerstören und dessen Bestandteile absaugen, sodass die Blutgefäßfunktion wiederhergestellt wird.
  • Bewertungsergebnis: Bewertungsverfahren bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen.

Datenlage aktuell bewerteter Methoden nach wie vor unzureichend

Bisher konnte ein Nutzen für Erkrankte bei keiner der dem G-BA vorgelegten Methoden belegt werden. Für drei Methoden war die Erkenntnislage so unzureichend, dass der G-BA nun Erprobungsstudien konzipiert, um herauszufinden, ob diese überhaupt einen Nutzen für Patientinnen und Patienten haben.

Wahrung der Patientensicherheit? Erhebliche Zweifel!

Von mindestens zwei dieser Methoden ist der Reifegrad der Entwicklung äußerst kritisch zu hinterfragen. Dabei handelt es sich um die Methoden „Endoskopische Injektionsimplantation von 32P-Mikropartikeln bei irresektablen, lokal fortgeschrittenen Pankreastumoren“ und „Einsatz eines Stentretrievers zur Behandlung des Vasospasmus zerebraler Arterien nach Subarachnoidalblutung“, die sich beide in einem frühen experimentellen Stadium befinden, sodass sie mit Blick auf die Patientensicherheit in der Routineversorgung nicht angewendet werden sollten.

Es ist so wenig über diese Methoden bekannt, dass sogar die Planung einer aussagekräftigen Erprobungsstudie schwierig werden könnte, da auch die in der Routineversorgung als vermeintlicher Standard angewendeten Methoden zum Teil ohne Markzulassung erfolgen und nicht dem anerkannten Stand der Wissenschaft entsprechen.

Bei den „32P-Mikropartikeln“ stellt sich darüber die Frage, ob diese Methode langfristig überhaupt sicher anwendbar und wirksam ist. Eine geplante Marktbeobachtungsstudie deutet daraufhin, dass der Hersteller dies erst noch prüfen muss.

Nahaufnahme eines Stents

Dringender politischer Handlungsbedarf bestätigt

Die aktuellen Bewertungen nach § 137h SGB V zeigen einmal mehr eindringlich, wie problematisch es ist, dass Hochrisikomedizinprodukte im experimentellen Forschungsstadium in Krankenhäusern angewendet und zu Lasten der GKV vergütet werden. Dass ausgerechnet jene Methoden, für die der G-BA Erprobungsstudien konzipiert, auch weiterhin außerhalb eines Studiensettings in der Routineversorgung erbracht werden können, ist mit Blick auf die Patientensicherheit unverantwortlich. Hier ist ein Handeln des Gesetzgebers dringend erforderlich. (nbe)

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