Patientenschutz

Ein Autorenbeitrag von Dr. Philipp Storz-Pfennig

Neue Eingriffe für die Zweitmeinung

Der lange Weg zur bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung

September 2021

Im Spiegel kritischer Analysen zeigt sich, wie defizitär die Entscheidung über den Einsatz technischer Diagnose- und Therapieverfahren in vielen Bereichen getroffen wird. Bemerkenswert ist die Anerkennung dessen durch den Gesetzgeber: Eine organisierte ärztliche Zweitmeinung wurde als neue Leistung geschaffen, da bestehende Sicherungen offenkundig unvollständig wirksam sind, um Über- und Fehlversorgung bei vielen Eingriffen zu verhindern. Ein aktueller Bericht des IQWiG zeigt, für wie viele Eingriffe dieses Problem besteht. Es ist deswegen nötig, an die grundsätzliche Verantwortung des professionellen Versorgungssystems zu erinnern, eine bedarfsgerechte und evidenzbasierte Versorgung zu realisieren – denn ein Verfahren wie die Zweitmeinung kann nur nachträglich Probleme bei der Indikationsstellung aufdecken. Insgesamt wird noch ein viel grundlegenderes Problem sichtbar: Auch die besten Expertinnen und Experten, eine weit entwickelte Gesundheitskompetenz, gemeinsame Entscheidungsfindung und schließlich auch Zweitmeinungen bleiben in ihren Möglichkeiten sehr beschränkt, wenn keine oder zu wenige hochwertige Studien vorliegen, die eine belastbare Grundlage für gute Entscheidungen in alltäglichen Entscheidungssituationen ebenso wie bei der Gestaltung der Gesundheitsversorgung auf anderen Ebenen liefern.

Inhalt

An der Neuschöpfung von Zweitmeinungen als reguläre Leistungen (§ 27b SGB V) ist weniger die Einführung in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) als solche bemerkenswert – diese gab und gibt es in unterschiedlichen Formen auch schon vorher und weiterhin und sie werden, wenigstens Umfragen zufolge, auch vielfach gewollt (Geraedts und Kraska 2016). Vielmehr interessant ist, wie der Gesetzgeber hier im Grunde anerkennt, dass bei planbaren Eingriffen „die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist“ bzw. „das Risiko […] einer nicht durchgängig medizinisch gebotenen Vornahme des Eingriffs nicht auszuschließen ist“ (BT.-Drs. 18/4095, S. 74). Die doppelte Verneinung zeigt hier schon, wie schwer dieses Eingeständnis der Präsenz von Über- und Fehlversorgung gefallen sein muss. Im Unterschied zu anderen Regelungen, die entweder vorab, wie z. B. bei der Bewertung neuer Methoden, oder begleitend, z. B. in weiten Bereichen der Qualitätssicherung, wenigstens idealtypisch die Einhaltung dieses Gebotes unterstellen und sicherstellen sollen, verrät die zitierte Begründung etwas darüber Hinausgehendes – nämlich, dass diese Sicherungen zumindest unvollständig sind und wenigstens „nicht auszuschließen“ ist, dass medizinisch nicht gebotene Leistungen nicht nur ausnahmsweise erbracht werden.

Betrachtet man die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bereits für die Zweitmeinung benannten Eingriffe (Mandeloperationen, Hysterektomien, Schulterarthroskopien, Amputationen beim diabetischen Fuß, Knie-Endoprothesen) (G-BA 2021) und weitere zukünftig wahrscheinlich noch zu benennende Eingriffe z. B. an der Wirbelsäule und aus dem kardiologischen Bereich, die aktuell durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vorgeschlagen wurden (IQWiG 2021), dann sind sehr große Versorgungsbereiche betroffen. Es stellt sich zunächst die Frage: Wie konnte es dahin kommen?

Eine expansive Praxis der Medizin und kritische Erkenntnisse zu ihrer Anwendung

Die Zahl und Vielgestaltigkeit von „Eingriffen“ resultiert in erheblichem Maße aus der Erfolgsgewissheit der „modernen“ Medizin des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie hat, basierend wesentlich auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien, viele Möglichkeiten entwickelt, in das Innere des Körpers zu sehen und dort zu intervenieren: mit Bildgebung, chirurgischen Techniken, anderen invasiven Verfahren, Implantaten etc. Eben diese Erfolgsgewissheit einer Ableitung der Wirksamkeit vieler Verfahren aus der Sichtbarkeit des Organismus, seiner Funktionen und „mechanistischen“ Erkenntnissen pathologischer Prozesse und der darauf basierenden Eingriffe und Erwartungen in Behandlung und Diagnostik ist nach immenser Ausdifferenzierung und Expansion dieser Technologien zunehmend auch kritisch gesehen worden. Die zunehmend kritische Wahrnehmung einer technologisch expandierenden Medizin zeigen z. B. erste Technologiebewertungen der Computertomographie (CT) (OTA 1978), die Erkenntnis schwer erklärlicher Versorgungsvariationen (Wennberg und Gittelsohn 1973) und die regelhafte Nutzung von Gesundheitstechnologienbewertungen (HTA, Health Technology Assessments) auf nationaler und zukünftig wohl vermehrt auch europäischer Ebene (EU-NET-HTA). Sie steht auch in Zusammenhang mit (selbst-)kritischer, evidenzbasierter Medizin (IQWiG 2020; Abschnitt 1.3). Neben vielen anderen ethischen, sozialen, ökonomischen und politischen Aspekten gelten diese kritischen Untersuchungen schließlich im Kern der Frage, ob die Interventionen auch wirklich helfen - mehr jedenfalls als sie auch schaden können; und dies im Spiegel der tatsächlich für die Behandelten wichtigen Ergebnisse und nicht lediglich auf der Basis von vorwiegend technisch-naturwissenschaftlich abgeleiteten Plausibilitäten und Erwartungen.

Inzwischen ist die Berufung auf solche „Evidenz“ mindestens in allen Fachkreisen üblich. Dies zeigt einerseits durchaus die Überzeugungskraft der skizzierten kritischen Ansätze, allerdings zeigt der wohl deutlich inflationäre Gebrauch auch, dass hier vielleicht manchmal mit der Bezeichnung „evidenzbasiert“ eine eher werbliche Aussage mit fraglicher Substanz getroffen wird oder man befürchteter Kritik damit von vorne herein begegnen will. Denn die Akzeptanz des Konzeptes bedeutet nun gerade nicht, dass alles „evidenzbasiert“ und somit wesentlich in Bezug auf Nutzen und Schaden geklärt sei. Dies zeigte auch schon das zwar nicht mehr eben neue, aber in vielem doch immer noch Maßstäbe gesetzt habende Sachverständigengutachten zur „Über-, Unter und Fehlversorgung“ von 2001 (SVR 2001). Gleichsam zu dessen Jubiläum im Jahr 2011 hatte die Bertelsmann Stiftung begonnen (Faktencheck Gesundheit), das Erreichte – und nicht-Erreichte – durch eine ganze Reihe von Analysen insbesondere zu Versorgungsvariationen zu prüfen. Hier wird der Frage nachgegangen, wie es kommt, dass in wesentlich ähnlich gelagerten Fällen oft sehr unterschiedlich häufig bestimmte Therapien gewählt werden. Das wirft die Frage auf, ob vergleichsweise sehr viele höhere Raten an Interventionen in einigen Regionen gegenüber niedrigeren Raten in anderen Regionen wirklich notwendig und gerechtfertigt sind. In der Folge hatte auch die OECD hier Analysen und Bewertungen angestellt (OECD 2014). Weitere Initiativen im internationalen Umkreis zur Frage von, möglicherweise, „Zu viel Medizin“ (BMJ) sowie Analysen zur Überversorgung (Bertelsmann Stiftung 2019) zeigen generell, dass die Problematik sich auch ziemlich aktuell keineswegs vollkommen anders darstellt als ehedem. Entgegen der wohl verbreiteten Ansicht, dass insbesondere eine „private“ Finanzierung der Behandlung technologische Entwicklungen vorantreibe, ist festzustellen, dass es deutliche Hinweise darauf gibt, dass, im Gegenteil, die wesentliche Absicherung und Kostenübernahme durch soziale Krankenversicherungen oder ähnliche kollektive Solidarsysteme eine solche Expansion von Medizin erst ermöglicht hat (Weisbrod 1991).

Eine Ärztin und ein Arzt im Gespräch mit einem Patienten

Ob Überlegungen zu kaum erklärlichen Versorgungsunterschieden und eine Anerkenntnis der Bedeutung der Gestaltung kollektiver Sicherungssysteme bei Expansion und Heterogenität der Versorgung auch für die Gesetzgebung zum Zweitmeinungsverfahren maßgeblich waren? Einiges spricht dafür, dass hier besonders die in den letzten Jahren beobachtete und vieldiskutierte „Mengenausweitung“ von Krankenhausleistungen vor Augen stand. Man könnte diese als ein „konjunkturelles“ Phänomen beschreiben, auf der Grundlage des skizzierten strukturellen Problems, das offenbar schon sehr viel länger besteht und sich weder nur aktuell oder nur national zeigt und das sich dem Anschein nach bestimmten begrenzten Korrekturversuchen z. B. in Vergütungssystemen auch in erheblichem Maße offenbar entziehen kann. Jedenfalls hat der G-BA in Bezug auf die bisher aufgenommenen Eingriffe die „Mengenanfälligkeit“ gerade auch in Hinblick auf die inzwischen geradezu „historisch“ zu nennenden, immer wieder präsenten Praxisvariationen abgestellt.

Als wirksame Faktoren müssen dabei nicht nur die Infrastruktur der Gesundheitswirtschaft (Gebäude, Maschinen, Personal und Kapital) gelten, sondern auch andere strukturelle bzw. kulturelle und soziale Aspekte, die durch Erwartungen, Haltungen und Handlungsmuster medizinischer Professionen in ärztlicher Ausbildung vermittelt den Versicherten und Patientinnen und Patienten gegenüber verkörpert und durch diese vielleicht auch nicht selten geteilt werden. Diese weisen offenbar auch eine große Resistenz gegen Veränderungen auf. Aber letztlich bilden solche Ergebnisse, auch wenn sie wiederholt erzielt werden, immer nur einen Anfang weitergehender Nachforschung. Es muss genauer auf spezifische Interventionen, deren Kontexte, deren Nutzung und deren Erkenntnisgrundlagen gesehen werden.

Neue Eingriffe für die Zweitmeinung: Kardiologie, Orthopädie, Chirurgie et al.

Das IQWiG hat im Auftrag des G-BA über bereits in Bezug auf die Zweitmeinung aufgenommene Eingriffe (und solche, deren Aufnahme bereits beraten wird, wie die Wirbelsäulen-Eingriffe) hinaus insgesamt 15 prioritäre weitere Eingriffe vorgeschlagen. Diese Auswahl und Prioritätensetzung beruht auf einer eigens hierfür entwickelten Methodik, die internationale und deutsche Literatur mit kritischen Befunden zu den Eingriffen sowie Datenanalysen zur Entwicklung in zeitlicher und räumlicher (Verteilungs-)Hinsicht in Deutschland berücksichtigt.

Eine Tabelle mit einem Überblick über vorgeschlagene Eingriffe

Gesundheitskompetenzen, Entscheidungsfindungen, Leitlinien, zweite Meinungen

Die Zweitmeinung ist vor allem als Möglichkeit zu sehen, eine bessere Entscheidung in besonders schwierigen Situationen zu treffen. So formuliert das Patientenmerkblatt des G-BA (G-BA 2019) zwar, dass in vielen Situationen in der Medizin verschiedene Vorgehensweisen denkbar seien. Dass die Zweitmeinungen aber die gesehenen Gefahren von Über- und Fehlversorgung als systematisches Problem lösen helfen sollen, findet sich hier nicht formuliert. Dies ist ja auch insofern richtig, als schwer vermittelbar erschiene, weshalb einzelne Patientinnen und Patienten hier gleichsam aufgerufen würden, Probleme des professionellen Versorgungssystems zu lösen.

Es sind auch andere Ansätze vorhanden, der Problematik der Durchführung fragwürdiger Eingriffe zu begegnen. International sind diese Alternativen zum Zweitmeinungsverfahren üblicher. So ist eine ausführliche Aufklärung und Abwägung von Alternativen ohnehin rechtlich geboten. Die Idealvorstellung einer gemeinsamen informierten Entscheidungsfindung und eine Stärkung der unzureichenden Gesundheitskompetenzen (Schaeffer et al. 2016) finden allgemein Zustimmung. Damit soll Versicherten, Patientinnen und Patienten die Fähigkeit zum Finden, Verstehen, Bewerten und Nutzen von Informationen auch über bestimmte Eingriffe und Therapien vermittelt werden. So würde es Patientinnen und Patienten auch besser ermöglicht, eine tatsächliche, ebenfalls als ideal betrachtete, gemeinsame Entscheidungsfindung zu verwirklichen, als dies heute wohl häufig der Fall ist. Nicht zuletzt der Innovationsfonds beim G-BA fördert auch Projekte, die erproben, wie dies praktisch umgesetzt werden könnte (G-BA-Innovationsfonds).

Hier wurde keine Bewertung der einzelnen Eingriffe im Sinne einer Technologie- oder Nutzenbewertung vorgenommen. Es wurden vielmehr aus verschiedenen Quellen Hinweise auf Überversorgung, Praxisvariationen und unangemessene Indikationsstellungen gesammelt. Eingriffe, für die sich solche Hinweise fanden, wurden dahingehend analysiert, ob sich in Deutschland ebenfalls Hinweise auf nicht erklärte Mengensteigerungen oder Variationen im regionalen Vergleich fanden. Damit wurden insbesondere die sich aus der gesetzlichen Regelung bzw. den Konkretisierungen durch den G-BA ergebenden Kriterien zugrunde gelegt. Das IQWiG hat nicht den Anspruch eines wissenschaftlichen Nachweises unerwünschter Indikationsausweitungen erhoben, sondern „versucht diesbezüglich auf transparentem Wege kriteriengestützte Hinweise zu eruieren und zu bündeln“ (S. 80).

Es darf im Übrigen darauf vertraut werden, dass auch in vielen Fällen von Eingriffen postuliert wird, „nur der Blick in die Krankenakte“ helfe weiter (Storz-Pfennig 2019), um die Notwendigkeit des jeweiligen Eingriffes beurteilen zu können. Ob dies nun generell richtig ist oder nicht: Eben diesen Blick soll nun die Zweitmeinung werfen.

Tabelle mit Vor- und Nachteilen von Behandlungen am Beispiel Tonsillektomie und Tonsillotomie

Ein häufig hierzu genutztes Instrument sind sogenannte Entscheidungshilfen, die im Kern eine Gegenüberstellung von Nutzen(-chancen) und Schaden(-srisiken) der möglichen Vorgehensweisen umfassen. Der G-BA sieht demnach auch die Nutzung solcher durch das IQWiG entwickelter Entscheidungshilfen im Rahmen der Zweitmeinung vor.

Die Verantwortung des Versorgungssystems

Auch bei der Würdigung solcher Ansätze und Instrumente darf nicht vergessen werden, dass hier immer auch eine Mitwirkung des Versorgungssystems sowie der verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte zum Gelingen nötig ist. Andernfalls ist schwer vorstellbar, wie selbst gut informierte Patientinnen und Patienten zu der für sie geeigneten Behandlung kommen können. Unbeschadet der grundsätzlich sinnvollen Stärkung von Fähigkeiten zur informierten Entscheidung und der Erlangung von Gesundheitskompetenzen muss die Evidenzbasierung in der Versorgung durch die regulatorischen Rahmenbedingungen und durch verantwortliche professionelle Akteure gestärkt und teilweise auch neu belebt werden.

Als aus ärztlicher Sicht vielleicht die wesentliche Errungenschaft der evidenzbasierten Medizin gelten medizinische Leitlinien. Diese könnten stärker als Quelle auch für Ansätze der Verbesserung der Bedarfsgerechtigkeit der Versorgung genutzt werden, weil Analysen auch immer wieder zeigen (z. B. Figulla et al. 2020), dass diesen Leitlinien in der Praxis zu wenig Beachtung geschenkt wird. Allerdings fehlt es vielfach auch noch an guten, methodisch hochwertigen Leitlinien. Die jetzt mögliche Förderung der Leitlinienentwicklung durch den Innovationsfonds beim G-BA bietet die Möglichkeit, Leitlinien - auch wo diese gegenwärtig noch fehlen - zu entwickeln, z. B. in den operativen Fächern. Darüber hinaus erscheint es folgerichtig, die Ergebnisse dieser Förderung mit Mitteln der Beitragszahlenden dann auch praktisch in relevante Versorgungsverbesserungen münden zu lassen. Hierzu fehlt es gegenwärtig noch an tragfähigen Konzepten, wie Leitlinien systematisch und verbindlich besser genutzt werden könnten. Auch eine weitere Auswertung des aktuellen IQWiG-Berichts könnte, auf der Grundlage dort verzeichneter nationaler und internationaler Publikationen, als eine Quelle von Problembeschreibungen und Lösungsmöglichkeiten interessant sein, auch über die Benennung von Eingriffen für das Zweitmeinungsverfahren hinaus.

Aus dem IQWiG-Bericht zu geeigneten weiteren Zweitmeinungs-Eingriffen und aus der wissenschaftlichen Literatur zu Fragen der Praxisvariationen, von Überversorgung und von vielleicht „zu viel Medizin“ wird deutlich, dass viele auf der systemischen Ebene bestehende Probleme im Zweifelsfall in der Praxis eben doch lediglich als Vermutungen und in einer Form des bestehen bleibenden „Unbehagens“ wahrgenommen werden. Es ist aber doch etwas ganz anderes, einerseits generell ziemlich gewiss zu sein, dass bestimmte Eingriffe deutlich zu häufig vorgenommen werden – und andererseits diese dann im Einzelfall auch tatsächlich nicht zu empfehlen oder, wenn empfohlen, aus Sicht der Patientinnen und Patienten abzulehnen.

In einigen Fällen mag die Zweitmeinung solches Unbehagen zwar lindern. Eine wirkliche Lösung wird es am Ende wohl in vielen Bereichen nur geben, wenn die Evidenzbasis geschaffen wird, die solchen Entscheidungen der Indikationsstellung zugrunde liegt oder vielmehr mangels belastbarer Daten derzeit noch häufig fehlt. Dann sind „Gewohnheiten“ auf Basis von Erkenntnissen änderbar und der Einfluss anderer Faktoren wird weniger wichtig. Denn die Qualität einer Entscheidung und der Regelungen, die hier den Rahmen setzen, kann immer nur so gut sein wie das Wissen, das in die Entscheidungsprozesse und Regelungen eingeht. Das gilt auf jeder Ebene - von der einzelnen Behandlungsentscheidung über Entscheidungshilfen für Patientinnen und Patienten bis hin zu Zweitmeinungsverfahren, Leitlinien und der Bewertung von (neuen) Methoden. Immer werden hier letztlich die Ergebnisse von hoffentlich guten Studien genutzt. Woran soll sich auch der „Blick in die Krankenakte“, woran die Zweitmeinung schlussendlich sonst orientieren, wenn nicht an objektivierbaren Bezugspunkten aus Studien zur Begründung der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit eines bestimmten medizinischen Handelns. Auch die beste persönliche Expertise kann diese nicht ersetzen.

Trotz der enormen, in vieler Hinsicht auch fragwürdigen (Chalmers et al. 2014), biomedizinischen Publikationstätigkeit fehlt es oft immer noch an solchen guten klinischen Studien, die relevantes Wissen für die Indikationsstellung hervorbringen. Dies gilt leider nicht nur in Bezug auf neue Methoden, bei der der G-BA aufgrund der neueren Gesetzgebung selbst Studien zur Erprobung durchführen muss, weil die bereits vorliegenden Studien oftmals nicht ausreichen. Hier ist allerdings die Zuschreibung der Verantwortlichkeit an den G-BA und damit den Beitragszahler der GKV dafür, dass solche Studien durchgeführt werden, doch sehr fragwürdig (Gottberg, Bühler, Egger 2020) und eine Sicherung der Relevanz der Studien für die Versorgungsrealität besonders notwendig.

Die richtige Richtung einschlagen

Der Gesetzgeber hat in der jüngeren Vergangenheit dafür sorgen wollen, dass neue Methoden schneller und leichter in die Regelversorgung gelangen (Egger 2019). Dies wird nicht zuletzt dadurch dokumentiert, dass das bloße Potenzial nützlicher Verfahren, im Grunde also nur ein „Hoffnungswert“, als Voraussetzung für Regelleistungen in der Krankenhausbehandlung anscheinend ausreichen soll. Eine wesentlich andere, in Bezug auf alle Interventionen eher kritische Perspektive nimmt die Schaffung des Zweitmeinungsverfahrens ein. Damit werden Widersprüche in den gesetzlichen Regelungen deutlich, wenn und insofern die „Innovationen“ von heute als Regelversorgung von morgen wiederkehren und dann in der Anwendung ähnliche problematische Charakteristika zeigen wie viele bereits breit angewandte Eingriffe und Verfahren. Hier sind Korrekturen und konsistente Vorgaben erforderlich, die die strukturellen Probleme ernst nehmen und allen Beteiligten auf den verschiedenen Ebenen gute Entscheidungen auf verlässlicher Grundlage ermöglichen – und die sich auch der sich abzeichnenden Herausforderungen in Bezug auf Kapazitäten und Finanzierung der Versorgung annehmen.

Referenzen

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Über den Autor

Dr. Philipp Storz-Pfennig

Dr. Philipp Stortz-Pfennig, der Autor des Artikels

Dr. Storz-Pfennig ist Fachreferent im Referat Methodenbewertung der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband.

Dort beschäftigt er sich mit den Themen Versorgungsepidemiologie, Health Technology Assessment, Einsatz von KI, Analyse von Forschungsprozessen im Bereich Biomedizin und versorgungsnaher Forschung.

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