Arzneimittel

Arzneimittelversorgung im Fokus – ein kritischer Blick auf das Eckpunkte-Papier des BMG

Februar 2023

Kurz vor Weihnachten wurde es im Regierungsbezirk noch einmal hektisch. Am 20. Dezember legte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein Eckpunkte-Papier zur Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln vor. Es skizziert zum Teil sehr weitreichende gesetzliche Pläne, die aktuell ausgearbeitet werden. Der GKV-Spitzenverband begrüßt die Intention grundsätzlich, sieht jedoch viele Fragen durch das Papier noch nicht beantwortet.

Kurze Problemschilderung, konkrete Maßnahmen und ebenso viele offene Fragen – auf drei Seiten umreißt Bundesgesundheitsminister Lauterbach seine Pläne für gesetzliche Maßnahmen im Bereich der Arzneimittelversorgung. Zunächst die wichtigsten Punkte im Überblick:

Gelockerte Preisregeln für Kinderarzneimittel

Der Beirat des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll eine Liste mit Kinderarzneimitteln festlegen, für die keine Rabattverträge geschlossen werden dürfen und bestehende Festbeträge aufgehoben werden. Für diese Arzneimittel wird die Preisobergrenze auf das 1,5-fache des bisherigen Festbetrags bzw. bei Arzneimitteln ohne Festbetrag auf das 1,5-fache des „Preismoratoriumspreises“ angehoben.

Generell sollen bei Festbetragsarzneimitteln für versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für versicherte Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Aufzahlungen für Arzneimittel, deren Preis über dem Festbetrag liegt, bis zum 1,5-fachen des Festbetrags von den Krankenkassen getragen werden.

Zusätzliches Kriterium „Anteil der Wirkstoffproduktion in der EU“ bei Rabattverträgen

Für Krebsarzneimittel und Antibiotika muss zukünftig ein zusätzliches Los anhand dieses Kriteriums ausgeschrieben werden. Weitere Arzneimittelgruppen sollen durch das BMG auf Basis einer Empfehlung des BfArM-Beirats festgelegt werden können. Eine verbindliche, mehrmonatige Lagerhaltung für rabattierte Arzneimittel ist ebenfalls vorgesehen.

Aufhebung von Festbeträgen

Der Beirat des BfArM prüft bei Festbetragsgruppen, in denen sich nur noch wenige Anbieter befinden, die Versorgungssituation und kann empfehlen, die Festbeträge in dieser Gruppe auf das 1,5-fache anzuheben oder sie ganz aufzulösen. Bei Auflösung der Gruppe wird der neue Basispreis ebenfalls auf Höhe des 1,5-fachen des bisherigen Festbetrages festgelegt. Generell soll die Möglichkeit, Festbetragsarzneimittel von der Zuzahlung freizustellen, nicht wie bisher auf die Fälle beschränkt sein, bei denen der Preis 30 Prozent unter dem Festbetrag liegt, sondern bereits bei einer Unterschreitung des Festbetrags um 20 Prozent möglich sein.

Eine Apothekerin spricht mit einer Kundin

Maßnahmen in Apotheken und mehr Informationsrechte

Bei Arzneimitteln, bei denen der Beirat eine kritische Versorgungslage festgestellt hat, sollen Apotheken substanziell von den Auswahlregeln abweichen können. Sofern bei diesen Arzneimitteln eine Rücksprache mit der verschreibenden Ärztin bzw. dem verschreibenden Arzt notwendig ist, soll die Apotheke eine Aufwandspauschale in Höhe von 0,50 Euro erhalten.

Das BfArM erhält zusätzliche Informationsrechte gegenüber Industrie und Großhändlern. Auf Grundlage dieser Informationen sollen dann Empfehlungen für weitere Maßnahmen entwickelt werden. Zur Warnung vor Versorgungsengpässen werden zusätzlich neue Kriterien aufgestellt. Auf Basis der Empfehlungen des BfArMs soll das Bundesgesundheitsministerium dann Festbeträge, Rabattregeln und die Austauschregeln in Apotheken für kritische Arzneimittelgruppen lockern können.

GKV-Spitzenverband sieht viele offene Fragen

Klar ist: Ein Eckpunkte-Papier skizziert Inhalte, erst im Gesetzesentwurf beginnt die wichtige Detailarbeit. Bereits die Eckpunkte bewertet der GKV-Spitzenverband kritisch. Das liegt an deren eindeutiger Richtung: Sie werden in jedem Fall zu Mehrausgaben führen, denen keine gesicherten Mechanismen für eine tatsächliche Verbesserung der Versorgungssituation gegenüberstehen. Es besteht die Sorge, dass die geplanten Maßnahmen schlicht die Preisbildung durch Festbeträge, Rabattverträge und Preismoratorium aushöhlen. Die Folge wäre eine dauerhafte Mehrbelastung für die Versicherten ohne einen zusätzlichen Mehrwert in der Versorgung. Mehr Markttransparenz und Stärkung der ohnehin vertraglich festgeschriebenen Versorgungsverpflichtungen – diese wichtigen Aspekte kommen in den Eckpunkten dagegen kaum vor. Nicht umsonst sprach die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, daher von einem Weihnachtsgeschenk für die pharmazeutische Industrie.

Aber auch mit Blick auf strukturelle Punkte ist Kritik notwendig: Das BfArM und der Beirat zu Liefer- und Versorgungsengpässen haben eine zentrale Rolle im Umgang mit Lieferengpässen. Der Beirat, ursprünglich ein informelles Austauschgremium, hat erst in der vergangenen Legislaturperiode einen recht steilen institutionellen Karrieresprung gemacht. Die Eckpunkte sehen weitere erhebliche Kompetenzen vor. Allerdings sind dort die pharmazeutische Industrie sowie Leistungserbringende deutlich überrepräsentiert. Dadurch besteht das Risiko einer einseitigen Beurteilung. Eine stärker paritätische Zusammensetzung, die auch das Wissen der Krankenkassen widerspiegelt, erachtet der GKV-Spitzenverband daher als zentral. Auch die Geschäftsordnung muss angesichts der geplanten neuen Kompetenzen auf den Prüfstand.

Versorgungssicherheit braucht verbesserte Datengrundlage

Ein Lieferengpass wird vom BfArM definiert als eine „über voraussichtlich 2 Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang [..].“Dies kann auch einzelne Packungsgrößen betreffen. In einem solchen Fall ist eine Versorgung weiterhin möglich. Hiervon zu unterscheiden ist ein tatsächlicher Versorgungsengpass - also eine Situation, in der Handel und Industrie den Markt grundsätzlich nicht mehr versorgen können. Das denkbar schlechteste Szenario für Patientinnen und Patienten, das allerdings auch wesentlich seltener vorkommt.

Die Früherkennung von kritischen Liefersituationen zu stärken, so wie es die Eckpunkte vorsehen, wird daher vom GKV-Spitzenverband ausdrücklich unterstützt. Ziel muss es sein, die bestehenden Mechanismen so weiterzuentwickeln, dass möglichst schnell und umfassend Klarheit über die Versorgungslage besteht. Vorbild könnte etwa das DIVI-Intensivregister sein, in dem seit April 2020 auf tagesaktueller Basis die verfügbaren Betten in der Intensivmedizin angezeigt werden. Wie können vorhandene Datenströme so gebündelt werden, dass auch für die Arzneimittelversorgung ein vergleichbares, möglichst genaues Versorgungsbild entsteht? Das muss der Gesetzgeber dringend in den Blick nehmen. Versorgungsprobleme haben unterschiedlichste, meist globale Ursachen. Allein mehr Geld im begrenzten nationalen Markt Deutschlands bereitzustellen, wird auf Dauer keine Lösung sein. (mro)

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