Arzneimittel

Autorenbeitrag von Antje Haas, Annette Zentner, Angela Schubert und Michael Ermisch

Erstattung von Arzneimitteln mit unreifen Daten

März 2018

Verkürzte Sonderzulassungen von Arzneimitteln auf Basis unreifer Daten sind längst keine Ausnahme mehr. Damit solche neuen Wirkstoffe nicht die Patientensicherheit gefährden oder zum Kostenrisiko für die Beitragszahlerinnen und -zahler werden, bedarf es einer Überbrückungsphase, bevor solche Arzneimittel Eingang in die Regelversorgung finden.

Inhalt

Kommen neue Arzneimittel auf den Markt, konnten sich Patientinnen und Patienten, Ärzteschaft und Kostenträger bislang darauf verlassen, dass deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durch qualitativ hochwertige Studien abgesichert sind. Von ihrem Routineverfahren der Arzneimittelzulassung kann die europäische Zulassungsbehörde (European Medicines Agency = EMA) unter bestimmten Umständen abweichen und verschiedene Sonderwege wie die „Bedingte Zulassung“, die „Zulassung unter besonderen Umständen“, die „Orphan Drug Designation“ oder das „Beschleunigte Beurteilungsverfahren“ nutzen. Waren diese Sonderwege bisher eher als Instrumente für medizinische Notlagen konzipiert, scheint sich in den letzten Jahren ein neuer Trend herauszubilden: Allein 2016 nutzte die EMA für mehr als ein Drittel der neuen Arzneimittel mindestens eine der möglichen Ausnahmen. Sie akzeptierte damit oftmals limitierte, unreife Daten des Herstellers zu Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (Ludwig 2017a). Bei 43 % der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und europäischer Zulassung, die seit 2011 in Deutschland unter den Geltungsbereich des AMNOG nach § 35a SGB V fallen, wurde (mindestens) ein Sonderzulassungsinstrument verwendet (siehe Abbildung 1).

Arzneimittel mit neien Wirkstoffen und europäischer Szandard- bzw. Sonderzulassung, die unter den Geltungsbereich des AMNOG nach § 35 SGB V fallen

Patientinnen und Patienten soll frühzeitig ein Zugang zu neuen Medikamenten eröffnet werden, rechtfertigte die EMA ihre Strategie, bei der Zulassung oft unreife Daten zu akzeptieren. Zugleich bedeutet das: Unternehmen wird eine schnelle Vermarktung ermöglicht. Dieser Logik folgend, fasste die EMA bestehende und neu geschaffene early-access Instrumente (siehe Übersicht am Textende) unter dem hoch umstrittenen Konzept „Adaptive Pathways“ zusammen (European Medicines Agency 2016a, European Medicines Agency 2016b) und senkte in diesen Fällen die konventionellen Nachweisstandards bei der Zulassung dauerhaft ab. Breite Kritik aus der Wissenschaft, von Verbraucherverbänden, Ärzteschaft, Sozialversicherungen und Kostenträgern an diesem Konzept blieb nicht aus. Sie kritisierten den Nebeneffekt eines solchen Vorgehens: eine wachsende und möglicherweise langfristige Unsicherheit zu Nutzen und Schaden des Arzneimittels sowie zum Zusatznutzen im Vergleich zum Therapiestandard. Der Wert dieser Arzneimittel für die Patientenversorgung bliebe damit insgesamt langfristig unklar.

Denn u. a. ist bei diesem Konzept gerade die für den Nachweis von Wirksamkeit und Sicherheit relevante Phase III-Studie, also die vergleichende klinische Prüfung in einer größeren Patientengruppe, vor Erteilung der Zulassung nicht mehr zwingend notwendig. Im Gegenzug verpflichtet sich das Unternehmen, ergänzende Daten nachzureichen. Erst nach Marktzugang soll durch Versorgungsdaten (sog. „Real World Data“) Evidenz generiert werden, um die vorab getroffene Annahme eines positiven Nutzen-Risikoverhältnisses zu bestätigen und ggf. weitere Anwendungsgebiete zu erschließen. Unter der Annahme, dass Patientinnen und Patienten bei einer medizinischen Versorgungslücke gewillt seien, ein höheres Behandlungsrisiko einzugehen, wird die erhöhte Unsicherheit als vertretbar angesehen.

Soweit die Theorie. Bisherige Erfahrungen mit Sonderzulassungen zeigen jedoch, dass die Evidenzlage zum Nutzen in der Postmarketingphase oftmals unklar bleibt: Statt des patientenrelevanten Behandlungserfolges werden weiterhin nicht validierte Surrogatparameter (Ersatzmesswerte wie z. B. Laborwerte) erhoben; Beurteilungsgrundlage für die Zulassungsbehörde bilden einarmige Studien ohne Vergleichsgruppe oder wenig aussagekräftige Beobachtungsstudien (Naci et al 2017, Pease 2017, Kim 2015). Zudem werden notwendige Daten zum Teil mit zeitlicher Verzögerung eingereicht oder weichen inhaltlich von den ursprünglich erteilten Auflagen ab. Und selbst wenn der Nachweis des Nutzens nach bereits erfolgter Zulassung scheitert, wird die Zulassung für das Produkt in der Regel nicht entzogen (Banzi et al. 2017, Joppi 2016, Banzi et al. 2015, Fain K et al 2013). Die Hoffnung auf eine wirksame Therapie, die die Akzeptanz unreifer Daten rechtfertigen sollte, wird somit zum Sicherheitsrisiko in der Versorgung von Patientinnen und Patienten.

Die Hoffnung auf eine wirksame Therapie, welche die Akzeptanz unreifer Daten begründen soll, wird zum Risiko mit hoher Unsicherheit in der Versorgung.

Die Zulassung von Arzneimitteln auf Basis schwacher und unvollständiger Evidenz setzt Patienten- und Ärzteschaft einer erheblichen Unsicherheit hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen aus. Ein früher Eingang in die Regelversorgung bei ungesichertem Patientennutzen verlagert zudem die Verantwortung für die Finanzierung und das Risiko für Fehlinvestitionen vom Hersteller auf die nationalen Gesundheitssysteme in Europa. Das deutsche Gesundheitssystem ist davon in ganz besonderem Maße betroffen: Im Unterschied zu den meisten anderen europäischen Ländern sind bei uns neue Arzneimittel im Regelfall sofort mit Markteintritt erstattungsfähig und verfügbar (Zentner und Haas 2016a, Zentner und Haas 2016b).

Unreife Daten lassen klare Aussagen zum Zusatznutzen kaum zu

Der zunehmenden Datenunreife bei Zulassung stehen paradoxerweise steigende Preise für diese Arzneimittel gegenüber. Für die Industrie ist die Entwicklung von sogenannten Niche-Buster-Arzneimitteln mit Sonderzulassungen für seltene oder als selten umdefinierte Erkrankungen, insbesondere in der molekularbiologischen Onkologie, attraktiv (Kumar Kakkar 2014, Collier 2011, Dolgin 2010). Aufgrund postulierter therapeutischer Alternativlosigkeit bzw. eines dringlichen Behandlungsbedarfs werden in diesen Spezialmärkten höhere Preise verlangt, die selten die F&E-Kosten widerspiegeln (Prasad 2017, Scannel 2015). Arzneimittel für seltene Leiden, sogenannte Orphan-Arzneimittel, sind in Deutschland je DDD (Defined Daily Dose) etwa 33-fach teurer als patentgeschützte Nichtorphan-Arzneimittel (Schwabe 2017). Einige dieser Arzneimittel aus dem Bereich der „personalisierten Medizin“ erreichen damit trotz der Seltenheit der behandelten Erkrankungen Umsätze auf Blockbusterniveau. Angesichts dieser Entwicklung mahnten die EU-Gesundheitsminister aus gutem Grund, dass der Zugang zu wirksamen und bezahlbaren Arzneimitteln in der EU gefährdet sei (Rat der EU 2016).

Für die Bewertung des Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen des AMNOG-Verfahrens stellt die zunehmende Datenunreife bei Markteinführung ebenfalls ein Problem dar: Bei der Erstbewertung werden patientenrelevante Endpunkte wie Mortalität, Morbidität oder Lebensqualität noch schwieriger einzuschätzen sein, da nur wenige oder keine verwertbaren Daten im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, dem Therapiestandard, vorliegen. Damit ist auch klar, dass für viele dieser Wirkstoffe kein Zusatznutzen ableitbar sein wird. Bei Orphan-Arzneimitteln unterstellt der Gesetzgeber allerdings einen Zusatznutzen mit der Zulassung. Diese Annahme wird kaum mehr durch Daten zu patientenrelevanten Endpunkten gestützt.

Denkbarer Ansatz: stufenweise Bewertung und angepasste Erstattung

Derzeit ist nicht davon auszugehen, dass die EMA - wie u. a. vom GKV-Spitzenverband gefordert (GKV-Spitzenverband 2017) – beschleunigte Zulassungen mit unreifen Daten auf begründete Ausnahmefälle mit echten, dringlichen medizinischen Versorgungslücken beschränken wird. Daher bedarf es grundsätzlicher Überlegungen, wie mit neuen Arzneimitteln umgegangen werden soll, deren Nutzen für Patientinnen und Patienten und für die Gesundheitsversorgung insgesamt aufgrund von Datenunreife nicht einschätzbar ist. Um sowohl einen schnellen und zugleich sicheren Zugang zu neuen Arzneimitteln zu eröffnen als auch die Versichertengemeinschaft vor finanziellen Fehleinschätzungen zu bewahren, wäre ein stufenweises Vorgehen mit einer temporären Erstattung denkbar. Quasi als Zwischenschritt vor dem Übergang in die Regelversorgung könnte damit die Phase großer Unsicherheit zu Wirksamkeit, Sicherheit und Zusatznutzen solcher neuen, auf Basis unreifer Daten zugelassenen Arzneimittel überbrückt werden. Eine erste zeitlich befristete AMNOG-Bewertung des Zusatznutzens durch den G-BA würde danach mit Auflagen zur verpflichtenden Datengenerierung für den Hersteller versehen; eine zweite Bewertung zur Verifizierung oder Falsifizierung der vorherigen Entscheidungen würde folgen (siehe Abbildung 2). Diese stufenweise Bewertung ermöglicht eine am jeweiligen Wissensstand angepasste adaptive Erstattung.

Erstattungsmodell für Arzneimittel mit unreifen DAten

Für diesen Ansatz bedarf es verlässlicher Anreize und Strukturen. Sicherzustellen ist erstens, dass die für die Bewertung des Zusatznutzens fehlenden validen Daten nach der Zulassung zwingend generiert und durch die pharmazeutischen Unternehmen auch rechtzeitig und vollständig geliefert werden. Da Patientinnen und Patienten in dieser Phase einem höheren Risiko potenziell unwirksamer oder schädlicher Therapien ausgesetzt sind, muss zweitens die Versorgung durch qualitätssichernde Maßnahmen (wie die Betreuung durch entsprechende Fachärzte bzw. -ärztinnen und eine engmaschige Therapieführung) flankiert werden. Drittens muss die initial größere Unsicherheit bei den Erstattungsbetragsverhandlungen ebenso angemessen Berücksichtigung finden wie etwaige Neueinschätzungen zum Wert des Arzneimittels nach Folgebewertung. Die freie Preisgestaltung im ersten Jahr nach Inverkehrbringen ist aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes unter solchen Umständen nicht mehr haltbar, sondern sollte in einen rückwirkend geltenden Erstattungsbetrag überführt werden. Darüber hinaus sollte sich der Erstattungsbetrag der Aussagekraft der Daten schrittweise anpassen. Das heißt, für die Phase der größten Datenunsicherheit, also zwischen der ersten Zusatznutzenbewertung und der Folgebewertung, ist eine differenzierte Erstattung zu etablieren.

Damit ein Nutzennachweis des Herstellers nicht nur auf die Zulassung abstellt, sondern auch die Anforderungen einer HTA-Bewertung zum Zusatznutzen besser erfüllt, müssen pharmazeutische Unternehmer frühzeitig durch den G-BA über die Studienplanung beraten werden. Fest steht: Auch wenn sich die Aussagekraft der Daten für die Zulassung reduziert, dürfen die Anforderungen der AMNOG-Zusatznutzenbewertung an geeignete Studiendaten nicht abgesenkt werden. Arzneimittelrecht und Sozialversicherungsrecht geben regelhaft unterschiedliche Anforderungen an die durchzuführenden Studien vor, z. B. zur geeigneten Vergleichstherapie oder zu Endpunkten. Gerade weil Zulassungsbehörden und HTA-Agenturen unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, dürfen Anforderungen an die Verfahren von Zulassung und Zusatznutzenbewertung nicht angeglichen werden.

Für das vorgestellte Erstattungsmodell kommen neue Arzneimittel in Betracht, bei denen durch die Sonderzulassung keine oder nur eine limitierte Evidenz bei der Erstbewertung des Zusatznutzens vorliegt, zeitnah aber eine verbesserte Datenlage erreicht ist. Auf Arzneimittel mit hinreichender Datengrundlage beim Marktzugang zielt das Modell dagegen nicht ab - selbst wenn sie eine Sonderform der Zulassung genutzt haben. Für sie würde nach wie vor das Standard-AMNOG-Verfahren greifen.

Risiko darf nicht auf Kostenträger verlagert werden

Wie im klassischen AMNOG-Verfahren folgt im vorgestellten Verfahren der G-BA-Erstbewertung des Zusatznutzens eine Erstattungsbetragsverhandlung des pharmazeutischen Unternehmens mit dem GKV-Spitzenverband. Die zu diesem Zeitpunkt vorliegende Datenunreife erhöht jedoch die Unsicherheit über den tatsächlichen Wert des Arzneimittels. Dieser Aspekt muss in den Verhandlungen berücksichtigt werden. Pharmazeutische Unternehmen müssen in dieser Übergangsphase also mit Einschränkungen bei Preis und/oder Menge rechnen. Sie können im Gegenzug bei der erneuten Erstattungsbetragsvereinbarung nach der Folgebewertung des G-BA aber auch davon ausgehen, dass die Erstattung angepasst wird. Hersteller hätten durch diesen stufenweisen Übergang in die Regelversorgung zugleich auch einen Anreiz, ihre Produkte selbst dann im Markt zu halten, wenn die G-BA-Erstbewertung nicht konform mit ihren Gewinnerwartungen geht.

Die sich aus der Datenunreife ergebende erhöhte Unsicherheit zum Wert des Arzneimittels muss hinreichend Berücksichtigung in der Erstattung finden.

Da der Hersteller sich freiwillig für den Weg einer beschleunigten Zulassung entschieden hat, dürfen die damit verbundenen Kosten nicht zulasten der Versichertengemeinschaft gehen. Vielmehr muss ein Ausgleich dafür gefunden werden, dass die Versichertengemeinschaft für die Phase der unsicheren Evidenz bei einer beschleunigten Zulassung in „Vorleistung“ tritt. Hierbei sind unterschiedliche Möglichkeiten der Risikoumverteilung denkbar:

  • Für die Phase der größten Datenunsicherheit zwischen der Erstbewertung und der Folgebewertung des Zusatznutzens könnte ein einfacher Abschlag auf den Abgabepreis des Herstellers angesetzt werden. Allerdings könnten Unternehmer einen solchen Abschlag antizipieren und einpreisen. Geeigneter erscheint daher ein Abschlag auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) oder der vergleichbaren Arzneimittel (VAM) bzw. des Therapieumfeldes. Ein solcher Abschlag ist zwar eine aufwandsarme Lösung, zugleich aber unter Umständen zu grobkörnig, um das möglicherweise individuelle Ausmaß der Unsicherheit preislich abzubilden.
  • Alternativ könnten mengenbezogene Aspekte, die das GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz in § 130b Abs. 1a SGB V geschaffen hat, eine vertragliche Option darstellen. Wenn die Unsicherheit aufgrund unreifer oder fehlender Daten wenigstens ansatzweise eingrenzbar ist, könnte z. B. eine mengenbezogene Staffelung oder ein jährliches Gesamtvolumen eine Möglichkeit für eine sachgerechtere spezifische Lösung bieten. Liefert der Hersteller die geforderten Daten, kann sich das in der Folgeverhandlung sowohl preislich als auch in der mengenbezogenen Komponente der Erstattungsbetragsvereinbarung widerspiegeln. Als Risiko bleibt: Je unsicherer die Daten in der Ausgangssituation, desto schwieriger ist bspw. die Definition der Größe der Patientenpopulationen in den (Teil-)Indikationen.
  • Vorstellbar ist auch, die pharmazeutischen Unternehmen beim Prinzip Hoffnung in die Pflicht zu nehmen. So könnten die Therapieversprechen bezogen auf patientenrelevante Vorteile in der Phase der größten Datenunsicherheit in Form von erfolgsabhängigen Erstattungsvereinbarungen (Pay for Performance, P4P) abgebildet werden. Allerdings ist dies weit schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheint. Es setzt die sehr konkrete Definition des Behandlungserfolges sowie die Existenz von geeigneten Parametern für den Therapieerfolg und für dessen Ermittlung aus Routinedaten voraus. Das Ausmaß der Erstattung würde sich dann am (Nicht-)Eintreten bestimmter Ereignisse, die mit geeigneten Daten feststellbar sind, bemessen. Interessanterweise existieren in anderen europäischen Ländern durchaus auch negative Erfahrungen mit diversen Formen der erfolgsabhängigen Vergütung (Pauwels 2017, Wild 2017, Navarria 2015). Zudem hat sich in anderen Ländern gezeigt, dass die finanziellen Erwartungen von Kostenträgern nicht zu realisieren waren, was in einigen Fällen zu einer Kehrtwende weg von komplexen Erstattungsmodellen hin zu wieder vornehmlich einfacheren Rabattmodellen geführt hat (Pauwels 2017). Als Beispiel seien hier der National Health Service (NHS) Scotland und die Vertragspartner des Pharmaceutical Price Regulation Scheme 2014 für England und Wales angeführt (NHS Scotland o. J., Finance and NHS /Medicines, Pharmacy and Industry Group/17080 2013).

Der Übergang von der temporären Erstattungsphase in die Regelversorgung erfolgt, wenn der Hersteller die vom G-BA geforderten reifen Daten rechtzeitig und vollständig vorlegt. Die Erstattung wird entsprechend der Ergebnisse der neuerlichen Zusatznutzenbewertung und unter Berücksichtigung der vereinbarten Konditionen während der Phase der temporären Erstattung angepasst.

Werden die Auflagen des G-BA dagegen nicht erfüllt und der Wert des Arzneimittels bleibt unsicher, darf die Versichertengemeinschaft nicht weiter alleine die Kosten tragen. Ist eine Behandlung von Patientinnen und Patienten mit dem spezifischen Produkt gewünscht, muss politisch entschieden werden, durch wen und in welchem Umfang die Kosten stattdessen getragen werden und ob hier nicht ausschließlich das pharmazeutische Unternehmen in die Pflicht zu nehmen wäre. Das medizinische Risiko tragen an diesem Punkt allerdings weiterhin die Patientinnen und Patienten und ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte.

Fazit

Das vorgeschlagene Modell ermöglicht weiterhin den schnellen Zugang zu Arzneimitteln bei dringlichem medizinischem Versorgungsbedarf trotz zunächst unsicherer Daten zu Wirksamkeit, Unbedenklichkeit, Zusatznutzen und der sich daraus ergebenden Unsicherheit zum Wert des Arzneimittels. Es setzt deutliche Anreize, dass vor Übergang in die Regelversorgung die erforderliche Evidenz zuverlässig generiert und durch die Hersteller zur Verfügung gestellt wird. So werden Sonderbedingungen bei der Zulassung nur für jene Arzneimittel attraktiv, bei denen die unterstellte Hoffnung über kurz oder lang mit hinreichender Datensicherheit untermauert werden kann und es damit seinen Preis wert ist. Ein solches Modell kann niemals ein Ersatz dafür sein, patientenrelevante Daten zu Sicherheit, Wirksamkeit und zum Zusatznutzen zu liefern. Es kann jedoch verhindern, dass das Risiko von mit unreifen Daten zugelassenen Arzneimitteln gänzlich und langfristig alleine auf Patientinnen und Patienten, Ärzteschaft und Kostenträgern übertragen wird.

Übersicht early access-Instrumente

  • Zulassung unter besonderen Umständen (Marketing Authorisation under Exceptional Circumstances):
    Eine Zulassung unter besonderen Umständen kann erteilt werden, wenn es aus objektiven und nachprüfbaren Gründen unmöglich ist, vollständige Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels vorzulegen. Diese ist an Bedingungen zu knüpfen und jährlich zu überprüfen.
  • Bedingte Zulassung (Conditional Marketing Authorisation):
    Eine Zulassung kann auch ohne Vorlage umfassender klinischer Daten über die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittels erteilt werden, wenn durch dieses in der Therapie lebensbedrohlicher oder zu schwerer Invalidität führender Erkrankungen, in Krisensituationen oder in der Behandlung seltener Leiden eine Versorgungslücke geschlossen werden kann. Diese Zulassung ist mit Auflagen zu versehen, darunter die nachträgliche Lieferung der fehlenden Daten.
  • Beschleunigtes Beurteilungsverfahren (Accelerated Assessment):
    Auf Antrag kann ein beschleunigtes Beurteilungsverfahren durchgeführt werden, wenn ein Humanarzneimittel für die öffentliche Gesundheit und insbesondere unter dem Gesichtspunkt der therapeutischen Innovation von hohem Interesse ist. Das Zulassungsverfahren verkürzt sich dabei von 210 Tagen auf 150 Tage.
  • Orphan Drug Designation:
    Eine Benennung als Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens kann erfolgen, wenn eine Erkrankung lebensbedrohend ist oder chronische Invalidität nach sich zieht, dabei eine Prävalenz von maximal 0,5 ‰ aufweist und wenn für die Behandlung keine zufriedenstellende Methode besteht oder erheblicher Nutzen von der neuen Methode zu erwarten ist. Dies gilt auch, wenn zu erwarten ist, dass die Umsätze eines Arzneimittels für eine entsprechend schwerwiegende Erkrankung nicht zur Deckung der Entwicklungskosten ausreichen. Für diese Produkte erfolgt eine Unterstützung bei der Erstellung von Prüfplänen, eine Befreiung von Gebühren für die Zulassung und im Falle der Zulassung die Garantie einer umfassenden Marktexklusivität.
  • Adaptive Pathways:
    Adaptive Pathways ist ein neues Konzept der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), durch das Arzneimittelentwicklung und Datengenerierung so ausgestaltet werden sollen, dass ein früherer und sukzessiv auszuweitender Marktzugang möglich ist. Das Konzept beruht auf den drei Säulen iterative Entwicklung (beginnend bei der Patientengruppe mit dem höchsten therapeutischen Bedarf), Datengenerierung außerhalb klinischer Studien nach Zulassung und frühe Beteiligung von Health Technology Assessment (HTA)-Agenturen und Patientenvertretern an der Arzneimittelentwicklung. Essoll bestehende regulatorische Instrumente kombinieren.
  • PRIME-Scheme:
    PRIME (ein Akronym für Priority Medicines) ist ein Programm der EMA, in dem Entwicklungsprojekte für Produkte, die potenziell einen erheblichen therapeutischen Nutzen haben, durch engere Zusammenarbeit zwischen Agentur und Entwickler und intensivere Beratung optimiert und damit beschleunigt werden sollen. Diese so geförderten Produkte sollen regelmäßig auch für eine beschleunigte Beurteilung im Zulassungsverfahren zugänglich sein.

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Über die Autorinnen und den Autoren

Dr. Antje Haas

Dr. Antje Haas, eine der Autorinnen des Beitrags

Dr. Antje Haas ist Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband in Berlin.

Dr. Annette Zentner

Dr. Annette Zentner, eine der Autorinnen des Beitrags

Dr. Annette Zentner MPH ist Fachreferentin im Referat AMNOG G-BA der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband in Berlin.

Dr. Angela Schubert

Dr. Angela Schubert ist Fachreferentin im Referat AMNOG EBV der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband in Berlin.

Dr. Michael Ermisch

Dr. Michael Ermisch, einer der Autoren des Beitrags

Dr. Michael Ermisch ist Fachreferent im Referat Arzneimittel der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband in Berlin.

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