Neue Behandlungsmethoden

Ein Autorenbeitrag von Dr. Antje Gottberg und Dr. Matthias Dettloff

Erfahrungen mit den ersten Erprobungsstudien des G-BA

Dezember 2021

Im Februar 2021 sind die ersten Erprobungsstudien des Gemeinsamen Bundesausschusses in die Umsetzungsphase gegangen. Die ersten Patientinnen und Patienten wurden in diese Studien eingeschlossen. Für die Versorgung von Versicherten der GKV bedeutet dies etwas ganz Neues: Erstmals werden zu Lasten der Beitragszahlenden Behandlungsmethoden (noch) ohne Nutzennachweis im Rahmen von klinischen Studien angeboten, deren Design vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgegeben wurden. Die Krankenkassen zahlen dabei nicht nur die medizinische Behandlung, sondern auch die wissenschaftliche Begleitung, die Datenerhebung und Auswertung der Studie.

In der Regel geht es bei den Studien um die Frage, ob die zu untersuchenden innovativen Behandlungsmethoden tatsächlich die an sie gestellten Erwartungen erfüllen. Führen sie tatsächlich wie erhofft zu besseren Behandlungsergebnissen als die Standardtherapie? Ist ihr Einsatz wirklich verträglicher oder weniger invasiv und führt zu genauso guten Behandlungsergebnissen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, werden die Teilnehmenden zufällig per Losentscheid einer der Studiengruppen zugeordnet. Die eine Gruppe erhält dann die zu erprobende Behandlung, die andere die Standardtherapie. Wer sich für die Teilnahme an einer dieser Studien entscheidet, kann sich immer sicher sein, dass sie oder er eine medizinische Betreuung erhält, die hinsichtlich der Beobachtungsintensität und Begleituntersuchungen die erhöhten Standards der Patienteninformation und ethischen Standards der klinischen Forschung erfüllt.

Inhalt

Kurzbeschreibung Studien und aktueller Stand

Derzeit sind sechs klinische Studien des G-BA „aktiv“, das heißt, es werden aktuell Patientinnen und Patienten aufgenommen, sofern sie die Einschlusskriterien erfüllen. Eine Übersicht über alle Erprobungsstudien einschließlich der jeweiligen Registereinträge findet sich auf der Homepage des G-BA unter www.g-ba.de/studien/

Erprobungs-Richtlinie Patientenzahl (geplant) Laufzeit (Jahre) Rekrutierungsstand zum
30. September 2021
CAMOped – Aktive Bewegungsschiene zur häuslichen Selbstanwendung bei Rupturen des vorderen Kreuzbands 90 3 Keine Information verfügbar; Studie vom Hersteller direkt beauftragt
Erprobung der Liposuktion zur Behandlung des Lipödems (g-ba.de) 450 5 417
MARGI-T – Magnetresonanztomographie-gesteuerte hochfokussierte Ultraschalltherapie beim Uterusmyom 127 4 17
PASSPORT-HF – Überwachung des pulmonalarteriellen Drucks bei Herzinsuffizienz 554 4 70
TES-RP – Transkorneale Elektrostimulation bei Retinopathia Pigmentosa 134 5,5 15
TOTO – Tonsillektomie versus Tonsillotomie bei rezidivierender akuter Tonsillitis 454 5 60

Man erkennt, dass mit Ausnahme der Studie zur Liposuktion bei allen Studien die aktuelle Teilnehmerzahl hinter der geplanten Rekrutierung zurückliegt. Als wesentlicher Grund hierfür wird von den Verantwortlichen die Corona-Pandemie angegeben. Viele der beteiligten Studienzentren und administrative Abteilungen waren über längere Zeit nur eingeschränkt erreichbar. Zum einen verzögerten sich dadurch im Jahr 2020 zunächst die Vertragsschlüsse mit vielen Kliniken und Praxen als Studienzentren. Zum anderen musste aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Freihaltung von Krankenhauskapazitäten die Durchführung zahlreicher elektiver Eingriffe zurückgestellt werden. Für die TOTO-Studie wurde darüber hinaus noch ein weiterer medizinischer Effekt beschrieben: Die Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen haben dazu geführt, dass im Jahr 2020 die Ansteckungsrate vieler Erkältungskrankheiten abnahm. Dadurch kamen die eigentlich häufig auftretenden Mandelentzündungen längst nicht so zahlreich vor wie ursprünglich erwartet, sodass die Zahl geeigneter Patientinnen und Patienten – insbesondere Kinder - für die Studienteilnahme weit hinter den Erwartungen zurückblieb.

Vollkommen anders sieht es bei der Studie zur Liposuktion beim Lipödem aus. Zwar führte die Pandemie zunächst auch hier dazu, dass die Rekrutierung der Patientinnen später als geplant begann. Allerdings gab es bereits vor Studienbeginn eine so große Anzahl an Interessentinnen, dass sie die Zahl der Teilnahmeplätze um ein Vielfaches überstieg. Bei der zu erprobenden Behandlung handelt es sich um eine medizinische Leistung, für die bisher fast ausschließlich Privatzahlungen in Höhe von mehreren tausend Euro notwendig waren. Im Rahmen der Studie werden diese Kosten von den Krankenkassen übernommen. Ziel der Studie ist es, die Frage zu beantworten, ob eine Liposuktion den betroffenen Patientinnen langfristig wirklich hilft und der damit verbundene Nutzen die operationsbedingten Risiken übersteigt. Nur dann kann diese medizinische Leistung von der Solidargemeinschaft finanziert und allen betroffenen Versicherten angeboten werden – so fordert es das Qualitätsgebot der GKV.

Unterschiede zu anderen klinischen Studien

2.1 Unterschiede in der medizinischen Fragestellung

In der Regel werden klinische Studien durchgeführt, wenn Hersteller für ihre neuen Produkte wissenschaftliche Daten über die Wirksamkeit oder klinische Leistungsfähigkeit generieren wollen. Diese Studien sind sehr streng reguliert und werden behördlich überwacht, da die neuen Produkte in der Regel noch nicht marktfähig sind. Sobald die Produkte (das können Medizinprodukte oder Arzneimittel sein) ihre Verkehrsfähigkeit erhalten haben, können auch Marktbeobachtungsstudien durchgeführt werden. Solange solche Studien in der Verantwortung der Produkthersteller durchgeführt werden, unterliegen sie dem Arzneimittel- oder Medizinprodukterecht. Man bezeichnet diese Studien als „klinische Prüfungen“. Manchmal kann es auch sein, dass Forschungsgruppen aus dem klinischen Bereich bestimmte Fragestellungen in klinischen Studien untersuchen wollen. Solche Studien nennt man forscherinitiierte Studien oder „investigator initiated trials“ (IIT).

Erprobungsstudien des G-BA beziehen sich ausschließlich auf nicht-medikamentöse Innovationen und dienen überwiegend der Beantwortung der Frage, ob Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden unter Einsatz eines bestimmten Medizinprodukts für die Krankenbehandlung einen patientenrelevanten Nutzen haben oder nicht. Die Methode muss das sogenannte „Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative“ besitzen. Man weiß also aufgrund erster Erkenntnisse (die in der Regel aus klinischen Prüfungen mit dem Medizinprodukt stammen), dass die Behandlung vielversprechend sein könnte. Aber die Datenlage ist noch nicht ausreichend, weil beispielsweise Langzeitdaten fehlen oder über die Nebenwirkungen der Behandlung noch zu wenig bekannt ist. Erprobungsstudien werden immer mit verkehrsfähigen Medizinprodukten durchgeführt und auch immer im Rahmen der zulässigen Anwendung des Produkts (der sogenannten „Zweckbestimmung“).

2.2 Unterschiede bei der Vergabe

In verschiedener Hinsicht unterscheiden sich die Rahmenbedingungen für die Erprobungsstudien des G-BA maßgeblich von den ansonsten in der klinischen Forschungswelt üblichen Modalitäten der Auftragsvergabe und Finanzierung.

Der § 137e SGB V sieht vor, dass der G-BA eine „unabhängige wissenschaftliche Institution“ mit der Durchführung und Auswertung der Studie beauftragt. Die hierfür notwendigen Ausschreibungs- und Vergabeverfahren unterscheiden sich substantiell von den Wegen der Forschungsförderung bzw. Drittmittelvergabe und sind für interessierte Universitäten bzw. Kliniken meist unbekanntes Terrain, auf welchem sie hohe Anforderungen erfüllen müssen. Der G-BA hat einen Projektträger (aktuell das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) mit der Durchführung der formalen Verfahren beauftragt und gestaltet gemeinsam mit diesem den Prozess von der Auftragsformulierung bis zum Zuschlag. Ein solches Verfahren dauert allein schon aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Fristen mindestens neun Monate. Erst dann kann die beauftragte wissenschaftliche Institution damit beginnen, das Studienprotokoll fertigzustellen, die erforderlichen Genehmigungen und Ethikvoten einzuholen und die Verträge mit den Studienzentren zu schließen.

2.3 Unterschiede bei der Finanzierung

Gemäß gesetzlicher Vorgabe erfolgt die Finanzierung der Studie über zwei Wege: Die Kosten der wissenschaftlichen Begleitung und Auswertung der Studie sind durch den G-BA zu tragen (§137e Abs 5 SGB V), der dafür auf Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung über den sogenannten Systemzuschlag zugreift. Die von den Leistungserbringern im Rahmen der Erprobung erbrachten und verordneten Leistungen werden hingegen unmittelbar von den Krankenkassen vergütet (§137e Abs 4 SGB V). Diesen „Split“ gibt es in klinischen Prüfungen nicht. Üblicherweise umfasst in diesen Fällen die kalkulierte Finanzierung durch den Auftraggeber (das herstellende Unternehmen) auch die Honorare für ärztliche und andere medizinische Leistungen sowie zugehörige Sach- und Arzneimittelkosten.

Eine Frau spricht mit einem Mann, beide sitzen am Tisch.

Herausforderungen für die Durchführung

Die duale Finanzierung der Erprobungsstudien stellt deren praktische Umsetzung vor zahlreiche Herausforderungen in der praktischen Umsetzung, die seitens des Gesetzgebers vermutlich nicht vorausgesehen wurden:

1. Abrechnung der Erprobungsleistungen: Grundsätzlich sind sowohl Krankenhäuser als auch Vertragsärztinnen und –ärzte berechtigt, an Erprobungsstudien teilzunehmen und ihre Patientinnen bzw. Patienten in diesem Rahmen zu behandeln. Die Abrechnung stationärer Leistungen erfolgt über das Fallpauschalensystem (DRG). Für die in den aktuell laufenden Erprobungsstudien stationär zu erbringenden Leistungen lagen bereits kalkulierte Fallpauschalen vor. In diesem Fall folgt die Abrechnung durch die Krankenhäuser auf dem bestehenden Weg der Regelversorgung. Für ambulant zu erbringende Leistungen, die neu und daher noch nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für die vertragsärztliche Versorgung abgebildet sind, sind zunächst EBM-Gebührenordnungspositionen durch den ergänzten Bewertungsausschuss festzulegen. Dies ist für alle laufenden Studien erfolgt. Wichtig zu wissen: Diese ambulant erbringbaren Leistungen dürfen nur von den Zentren abgerechnet werden, die tatsächlich Studienzentren sind und natürlich auch nur für Behandlungen, die tatsächlich im Rahmen der jeweiligen Erprobungsstudie erfolgen. Für die Abrechnung von erprobungsspezifischen EBM-Gebührenordnungspositionen besteht allerdings derzeit weder für Krankenhäuser noch für Vertragsärzte die technische Möglichkeit einer Abrechnung dieser EBM-Ziffern auf elektronischem Wege. Hier muss also auf Papierrechnungen zurückgegriffen werden, die von den Studienzentren direkt an die Krankenkasse der jeweiligen Teilnehmenden geschickt werden. Diese Form der Abrechnung stellt sowohl die Zentren als auch die Krankenkassen vor große Herausforderungen. Für erstere ist der Vorgang mit erhöhtem Dokumentations- und Schreibaufwand verbunden, während letztere einen erhöhten Prüfaufwand haben – und überhaupt erst einmal nachvollziehen müssen, dass es sich bei dem oder der betroffenen Versicherten um einen „Erprobungsfall“ handelt. Angesichts von bisher noch wenigen Studienfällen unter Millionen regulärer Abrechnungsfälle jährlich eine schwierige Aufgabe.

2. Verordnung von weiteren Leistungen oder Arzneimitteln: In einigen der Studien sind auch Leistungen wie Physiotherapie, die Abgabe von Hilfsmitteln oder auch die Gabe von Medikamenten Bestandteil des Studienprotokolls. Ganz besonders betroffen hiervon ist die Erprobung der Liposuktion: die teilnehmenden Patientinnen bekommen im gesamten Studienverlauf physiotherapeutische Anwendungen wie manuelle Lymphdrainage oder angeleitete Bewegungstherapie. Sie benötigen ferner Kompressionsstrümpfe und erhalten jeweils postoperativ Antibiotika, Schmerzmittel und Medikamente zur Thromboseprophylaxe. Sofern an den teilnehmenden Kliniken oder Praxen eine Berechtigung vorliegt, die Verordnungsmuster gemäß Bundesmantelvertrag Ärzte („Muster 13“ für Heilmittelverordnung, „Muster 16“ für die Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln) zu verwenden, kann zumindest der Prozess der Verordnung und Abgabe reibungslos ablaufen. Allerdings können die Krankenkassen auch nicht erkennen, dass derartige Verordnungen im Rahmen einer Erprobungsstudie erfolgt sind. Noch problematischer ist die Situation dann, wenn an den Studienzentren keine Berechtigung zur Verwendung der standardisierten Verordnungsmuster vorliegt. Hier müssen dann jeweils völlig neue Wege beschritten werden, um den Studienpatientinnen und –patienten die entsprechenden Leistungen zukommen zu lassen und durch die Leistungserbringer abrechenbar zu machen. Wenn man sich vor Augen führt, dass in vielen Krankenkassen die Bearbeitung und Abrechnung dieser Leistungen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten verbunden ist, wird die Schwierigkeit offensichtlich: Die Krankenkassen müssen in ihren in der Regel elektronisch erfolgenden Arbeitsabläufen papiergebundene Informationen über eine Studienteilnahme integrieren und diese Information allen zuständigen Mitarbeitenden verfügbar machen. Dass das in der Anfangsphase nicht immer klappt, ist nicht verwunderlich.

Folgende Bedingungen müssten also erfüllt sein, um einen reibungslosen Studienablauf bei guter Motivation aller Beteiligten zu gewährleisten:

  • Die Krankenkassen müssen wissen, welche Kliniken und Praxen als Studienzentrum Versicherte im Rahmen der Erprobungsstudien behandeln und Leistungen abrechnen dürfen.
  • Krankenkassen müssen organisationsintern die Voraussetzungen schaffen, Informationen über die Teilnahme ihrer Versicherten an einer solchen Erprobungsstudie zu erfassen und ihren jeweils zuständigen Mitarbeitenden zur Verfügung zu stellen.
  • Versicherte, die an Erprobungsstudien teilnehmen, dürfen dadurch keine finanziellen Belastungen erleiden, d.h. auch nicht „in Vorleistung“ gehen müssen, um studienbedingte medizinische Leistungen zu erhalten. Davon unberührt bleibt die Tragung der gesetzlich geregelten Zuzahlung bei veranlassten Leistungen und Hilfsmitteln.
  • Alle Leistungserbringer müssen sich darauf verlassen können, die im Rahmen der Erprobung durchgeführten Behandlungen oder gelieferten Produkte auch innerhalb der hierfür üblichen Fristen bezahlt zu bekommen. Dafür müssen sie allerdings auch durch zeitnahe und möglichst vollständige Informationsübermittlung an die Krankenkassen die entsprechenden Voraussetzungen schaffen.
  • Die jeweilige „unabhängige wissenschaftliche Institution“, die für die Studiendurchführung verantwortlich ist, benötigt alle relevanten Informationen zu den Verordnungs- und Abrechnungswegen und ist dafür verantwortlich, diese an die Studienzentren weiterzugeben.

Bisherige Lösungsansätze

Der GKV-Spitzenverband hat in seiner Rolle als Schnittstelle zwischen G-BA und seinen Mitgliedskassen die Aufgabe übernommen, die Beteiligten bei der Operationalisierung der durch die GKV zu finanzierenden studienspezifischen medizinischen Behandlungsleistungen zu unterstützen.

Dazu wurden unter anderem die folgenden Maßnahmen ergriffen:

Sobald sich der unmittelbare Beginn einer Erprobungsstudie abzeichnet, werden die Krankenkassen per Rundschreiben über Konzept und Inhalt der Studie informiert, insbesondere über die damit verbundenen medizinischen Leistungen und ihre Vergütung, die teilnehmenden Zentren und die Wege der Abrechnung. Darüber hinaus finden sich Angaben zu den Erprobungsstudien einschließlich einer Liste der beteiligten Zentren jeweils auf der Homepage des G-BA.

Für die Bahnung der dargestellten Prozesse stellt der GKV-Spitzenverband der Studienkoordination diverse Dokumentenmuster zur Verfügung, welche diese wiederum an die Studienzentren schickt. Diese Muster umfassen u.a. ein Formular, mit dem das Zentrum die jeweils zuständige Krankenkasse der Versicherten über die Studienteilnahme informiert und ankündigt, auf welchem Wege erbrachte Leistungen abgerechnet werden. Bei Leistungen oder Produkten die nicht auf den gängigen Verordnungsmustern verordnet werden können, werden studienspezifische Vordrucke erstellt einschließlich Begleitschreiben zur Handhabung und Abrechnung an die entsprechenden Leistungserbringer.

Wirkung der Maßnahmen

Wie bereits eindrücklich dargestellt: Jede Erprobungsstudie stellt sowohl für die Krankenkassen als auch für die Leistungserbringer einen absoluten Sonderfall dar, der außerhalb der üblichen Routinen umzusetzen ist. Dasselbe gilt für die wissenschaftlichen Einrichtungen, die die Studien betreuen und koordinieren. Hier sind die sozialrechtlichen Vorgaben für GKV-Versicherte sowie die besonderen Verordnungs- und Abrechnungswege meist komplettes Neuland. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Versicherten einer Krankenkasse ist es jeweils nur ein sehr kleiner Bruchteil, der an der Studie teilnimmt. Darüber hinaus laufen die Prozesse innerhalb einer Krankenkasse in den seltensten Fällen zentralisiert ab, sondern sind verschiedenen Einheiten der ambulanten und stationären Abrechnung, der Vergütung von Heilmittelerbringern oder der Belieferung mit Hilfsmitteln zugeordnet. Es überrascht daher nicht, dass trotz aller beschriebenen Anstrengungen die jeweils benötigten Informationen über die Studienteilnahme einzelner Versicherter und die damit verbundenen Anforderungen nicht immer an der jeweiligen Stelle vorliegen. Darüber hinaus stellen alle Prozesse, die nicht über die automatisierten Routinen der Abrechnung laufen können, einen erheblichen verwaltungstechnischen Mehraufwand dar. Entsprechend gab es beispielsweise in der Liposuktionsstudie zahlreiche Rückfragen zu Papierrechnungen oder ungewohnten Physiotherapieverordnungen und –abrechnungen. Patientinnen wiederum haben teilweise erhebliche Probleme, Physiotherapeutinnen und -therapeuten zu finden, die sich auf die Abrechnung mit der zuständigen Krankenkasse abseits der Abrechnungszentren einlassen wollen, zumal sie dabei zusätzlich noch in Kauf nehmen müssen, dass für papiergebundene Rechnungen längere Zahlungsziele gelten.

Lösungsansätze

Sofern die Rechtsgrundlage auch weiterhin vorsieht, dass die medizinischen Leistungen in den Erprobungsstudien durch die GKV getragen werden, ist es aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes erforderlich, dass sich die zugehörigen Verordnungs- und Abrechnungsprozesse nicht grundsätzlich von denen der Regelversorgung unterscheiden. Das setzt beispielsweise voraus, dass alle Verordnungen auf den Formularen gemäß Bundesmantelvertrag Ärzte erfolgen können. Entsprechende Vorschläge wurden in jüngere Gesetzgebung eingegeben. Mit Inkrafttreten des GVWG gilt nun auch die Neuregelung zur Abrechnung und Verordnung von Erprobungsleistungen im § 137e Absatz 4 SGB V:

"Für die Abrechnung der ambulanten Leistungserbringung nach Satz 4 gilt § 295 Absatz 1b Satz 1 entsprechend; das Nähere über Form und Inhalt des Abrechnungsverfahrens sowie über die erforderlichen Vordrucke für die Abrechnung und die Verordnung von Leistungen einschließlich der Kennzeichnung dieser Vordrucke regeln der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung in einer Vereinbarung. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 7 ganz oder teilweise nicht zustande, entscheidet auf Antrag einer Vertragspartei das sektorenübergreifende Schiedsgremium auf Bundesebene gemäß § 89a."

Es ist aus Sicht der Krankenkassen zwingend erforderlich, dass aus der Kennzeichnung der Formulare hervorgeht, dass die Verordnung im Rahmen einer Erprobungsstudie erfolgt. Ebenso müssen die verordnenden und abrechnenden Leistungserbringer als Studienbeteiligte identifizierbar sein. Dies ist allein deshalb notwendig, weil dadurch eine „Ablehnung der Vergütung aus wirtschaftlichen Gründen“ vermieden werden kann. Wie oben dargestellt, folgt die medizinische Versorgung im Rahmen einer klinischen Erprobungsstudie in der Regel erhöhten, im Studienprotokoll definierten Anforderungen, und das kann ggf. auch eine besonders intensive oder aufwendige Begleitmedikation oder Heilmittelversorgung erfordern. Nur wenn die Kassen sofort zuordnen können, dass die Abrechnung oder Verordnung unter den Bedingungen einer Erprobungsstudie erfolgt ist, die betroffenen Versicherten tatsächlich an der Studie teilnehmen und auch klar ist, dass das abrechnende bzw. verordnende Zentrum tatsächlich ein Studienzentrum ist, ist eine reibungslose Abrechnung der Leistungen sichergestellt. Die zuständigen Gremien beim GKV-Spitzenverband, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) haben erste Beratungen aufgenommen, um die entsprechende technische Voraussetzungen zu schaffen.

Außerdem muss zuverlässig gewährleistet sein, dass die Information über die Studienteilnahme eines Versicherten innerhalb einer Krankenkasse allen für die verschiedenen Leistungsbereiche zuständigen Stellen zur Verfügung steht. Aus den Reihen einiger Kassen kam dazu der Vorschlag, dass jede Krankenkasse dazu eine einzige Ansprechperson oder Meldestelle benennt, bei der Meldungen von Studienteilnehmern aus den Zentren zusammenlaufen und dort auch abgerufen werden können, wenn andernorts Rechnungen eingehen. Diese Idee wird derzeit weiterverfolgt.

Ausblick

Festzuhalten ist, dass die Zahl an Erprobungsstudien bei der derzeitigen Rechtsgrundlage deutlich zunehmen wird. Der G-BA hat bereits eine Reihe weiterer Erprobungsrichtlinien beschlossen, deren Umsetzung ansteht. Auch wenn dieser Bereich im Verhältnis zum sonstigen Leistungsgeschehen denkbar klein ist, stehen diese Studien unter sehr aufmerksamer politischer Beobachtung. Es sollte daher unbedingt angestrebt werden, ihre Durchführung für alle Beteiligten so reibungsarm wie möglich zu gestalten und so viele Prozesse wie möglich an anderweitig etablierte Routinen der Forschung und Versorgung anzugleichen. Erste Schritte in diese Richtungen werden derzeit unternommen. Es ist zu hoffen, dass die „Kinderkrankheiten“ bald überwunden und die Studien erfolgreich durchgeführt werden können.

Dr. Matthias Dettloff

Dr. Matthias Dettloff, Autor des Artikels

Dr. Matthias Dettloff ist Fachreferent im Team Erprobung in der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband. Er vertritt den Verband im Gemeinsamen Bundesausschuss u. a. in den Gremien, die für die Planung und Durchführung der Erprobungsstudien zuständig sind.

Dr. Antje Gottberg

Dr. Antje Gottberg, Autorin des Artikels

Dr. Antje Gottberg ist Fachreferentin in der Abteilung Medizin, Referat für medizinische Grundsatzfragen beim GKV-Spitzenverband. Sie vertritt den Verband im Gemeinsamen Bundesausschuss u. a. in den Gremien, die für die Planung und Durchführung der Erprobungsstudien zuständig sind.

Bleiben Sie auf dem Laufenden