Qualitätssicherung

Mindestmengen sollen bestmögliche Behandlung von Säuglingen mit schweren Fehlbildungen möglich machen

Dezember 2025

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat vor kurzem einen Beschluss gefasst, Beratungen über die Festlegung von Mindestmengen für die Behandlung der Hirschsprung-Krankheit – wie auch für weitere Fehlbildungen – aufzunehmen und so sicherzustellen, dass solche sehr seltenen und hochkomplexen Behandlungen zukünftig nur noch an Krankenhausstandorten erfolgen, wo ein Mindestmaß an Erfahrung und Expertise vorhanden ist. Gegenwärtig ist das nicht der Fall.

Komplexe angeborene Fehlbildungen sind seltene, aber dramatische Leiden, die das Leben der betroffenen Neugeborenen vom ersten Tag an schwer beeinträchtigen können. Unbehandelt würden sie häufig zum Tode führen. Glücklicherweise können schwere Fehlbildungen heutzutage in den ersten Lebensmonaten chirurgisch so korrigiert werden, dass für das betroffene Kind eine weitestgehend normale Entwicklung und ein Leben ohne dauerhafte Behinderung möglich sind. Voraussetzung ist, dass die Behandlung durch Personen mit besonderer Erfahrung und Expertise erfolgt.

Komplexe Operation zur Behandlung Morbus Hirschsprung

Eine dieser komplexen seltenen Fehlbildungen, die den End- und Dickdarm betrifft, ist die nach dem dänischen Kinderarzt Harald Hirschsprung benannte „Hirschsprung-Krankheit“ (Morbus Hirschsprung). Die schwere Darmkrankheit kann in den meisten Fällen nur mit einer Operation behandelt werden. Diese erfolgt jedoch nicht sofort nach der Geburt. Die unmittelbare Notsituation wird zunächst mit einem künstlichen Darmausgang oder dem richtigen Darmmanagement beseitigt und dem Kind kann Zeit gegeben werden, zu wachsen und seine anatomischen Strukturen reifen zu lassen. Des Weiteren erfolgt in dieser Zeit die weitere leitliniengerechte Diagnostik zur Bestimmung des Ausmaßes des Morbus Hirschsprungs und zur Abklärung von Begleitfehlbildungen. Im Rahmen einer zeitlich geplanten Operation wird der betroffene Darmabschnitt entfernt und eine Verbindung des gesunden Darmes mit dem Analkanal durchgeführt. Hierdurch ist eine normale Darmpassage mit einer normalen Funktion der Stuhlkontinenz erreichbar.

Lebenslange Folgeschäden können durch die Verletzung des Analkanals und/oder des Schließmuskelapparates während der Operation, durch Belassen befallenen Darms oder durch narbige Abheilung der Darmnaht mit Engstellenbildung bei schlechter Durchblutung des angeschlossenen Darms entstehen.

Das möglichst komplikationsfreie Gelingen der korrigierenden Operation ist für die lebenslange Funktion des Schließmuskels entscheidend. Sowohl Frühkomplikationen nach der Operation als auch lebenslange Folgeschäden (Nicht-Einheilen der Darmnaht oder Ausbildung von Abszessen) sind jedoch häufig die Folge, wenn diese Operationen in Krankenhäusern durchgeführt werden, die damit wenig Erfahrung haben.

Drei Ärzte und Pflegekräfte während einer Operation in einem Krankenhaus

Viele Standorte mit winzigen Fallzahlen und wenig Erfahrung

Für die zehn wesentlichen komplexen Fehlbildungen (Morbus Hirschsprung, Anorektale Malformationen, Blasenekstrophie, Epispadie, Ösophagusatresie, kongenitale Zwerchfellhernie, Gallengangsatresie, Gastrochisis, Omphalozele und Spina bifida) wurden im Jahresmittel aus den drei Jahren 2020, 2021 und 2022 insgesamt nur 1.426 Korrekturoperationen in ganz Deutschland durchgeführt [Quelle: Wilms et al.]. 11 Prozent dieser Operationen (163 Fälle/Jahr) betrafen den Mb. Hirschsprung.

Die geringen Fallzahlen verteilen sich in Deutschland auf eine außergewöhnlich hohe Zahl von Standorten. Die durchschnittlich jährlichen 163 Hirschsprung-Fälle wurden im selben dreijährigen Erhebungszeitraum an 88 Standorten versorgt. Von diesen deutschlandweit 88 Standorten, die sich in den Jahren 2020 bis 2022 an die hochkomplexe und risikoreiche Operation des Mb. Hirschsprung herangewagt haben, haben 34 Standorte eine solche Operation in den gesamten drei Jahren nur ein oder maximal zweimal durchgeführt – also weniger als durchschnittlich einmal pro Jahr. An 50 weiteren Standorten wurden solche Operationen im Mittel weniger als fünfmal pro Jahr durchgeführt. Allein vier Standorte bundesweit führen diese Eingriffe mehr als fünfmal jährlich durch; einer dieser Standorte mehr als zehnmal/Jahr (siehe untenstehende Abbildung). Zum Vergleich: In Schweden werden diese Operationen landesweit nur an zwei Kliniken durchgeführt.

Eine Tabelle in der die Anzahl der durchgeführten Operationen bei komplexen Fehlbildungen pro Krankenhausstandort aufgeführt sind

Gelegenheitsversorgung hat schwerwiegende Folgen

Die Folgen einer Versorgung durch weniger erfahrenes Personal („Gelegenheitsversorgung“) sind schicksalhaft für die Kinder und können in einer schweren, lebenslangen Morbidität bestehen: Bei Morbus Hirschsprung kann eine suboptimale Behandlung durch ein unerfahrenes Team den Unterschied zwischen einem weitestgehend normalen Leben oder beispielsweise einer lebenslangen Stuhlinkontinenz, Harninkontinenz, Impotenz oder dem dauerhaften Tragen eines künstlichen Darmausganges (Anus praeters) bedeuten.

Zentralisierung sichert die Behandlungsqualität

Für Deutschland bedeutet die fachlich gebotene und zum Schutz der betroffenen Kinder notwendige Zentralisierung der korrigierenden Chirurgie bei Morbus Hirschsprung, dass es für die bestmögliche Versorgung weniger Zentren geben muss als heute, die aber dafür hoch spezialisiert und erfahren sein müssen. Bei der niedrigen Anzahl der betroffenen Kinder, die alle in Zentren mit größtmöglicher Erfahrung behandelt werden sollten, würden acht bis zehn Zentren ausreichen. Diese starke Konzentration der Leistungserbringung ist erforderlich, um das derzeitige Ausmaß an Gelegenheitsversorgung bei dieser vulnerablen Patientengruppe zu beenden.

Eine Fokussierung dieser sehr spezifischen Eingriffe hieße für die Patientinnen und Patienten bzw. deren Angehörige natürlich längere Anfahrtswege. Dieser Umstand ist angesichts der Tragweite der notwendigen Behandlung vernachlässigbar. Die korrigierende Chirurgie erfolgt erst nach einigen Lebensmonaten und ist immer planbar.

Festlegung von Mindestmengen nur auf Bundesebene möglich

Eine starke Konzentration hieße auch, dass es nicht in allen Bundesländern einen Standort für diese Operationen gäbe, auch wenn die Krankenhausplanung Ländersache ist. Hier zeigt sich eindrücklich, dass die Absicherung der Versorgungsqualität und Behandlungssicherheit bei komplexen Leistungen eine Bundesaufgabe sein muss und beim G-BA in den richtigen Händen liegt. Eine nur auf das jeweilige Bundesland abzielende Krankenhausplanung kann das hier beschriebene Problem nicht lösen. Insbesondere die seltenen Erkrankungen – zu denen auch alle Fehlbildungen gehören – lassen sich auch nicht mit den neuen Leistungsgruppen in angemessener Weise absichern. Es sind sehr gut planbare und hochspeziellen Leistungen, bei denen es gerade nicht um eine „flächendeckenden Versorgung“ geht, sondern um die bestmögliche Versorgung. Diese ist das primäre Ziel, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss Mindestmengen festlegt. Am 21. August dieses Jahres hat der Gemeinsame Bundesausschuss seine Beratungen zu dieser neuen Mindestmenge aufgenommen. Das Beratungsverfahren ist aufgrund der notwendigen umfangreichen Recherchen sehr aufwendig, unterliegt aber auch einer gesetzlichen Frist von maximal zwei Jahren. Eine Beschlussfassung wird im Herbst 2027 erwartet; die neue Mindestmenge wird dann zum 1. Januar 2028 in Kraft treten. Hieran schließt sich voraussichtlich eine i. d. R. zweijährige Übergangsfrist an, die es den betroffenen Krankenhäusern erlaubt, ihre Strukturen an die Regelung anzupassen. Eine endgültige Wirksamkeit der Regelung mit dem erhofften Ergebnis der Zentralisierung wäre also ab dem Jahresende 2029 zu erwarten.

Angesichts der Jahrzehnte, in denen Eltern- und Betroffenenverbände unermüdlich auf die Missstände hingewiesen haben, die sich aus der zersplitterten Versorgung von Fehlbildungen in Deutschland ergeben, ist das ein wichtiges und lang erhofftes Ergebnis. (hos/pfo)

Quelle: Wilms et al.: „Structural Challenges to the Reimbursement of Corrective Surgery of Complex Malformations Through the German G-DRG System”, 2024, Z Geburtsh Neonatol. DOI 10.1055/a-2437-0367. ISSN 0948-2393 Thieme

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