Finanzen

Trotz Reformgesetz: GKV-Finanzen nur kurzfristig gesichert

Dezember 2022

Der Bundesrat hat am 28. Oktober 2022 dem zuvor vom Bundestag beschlossenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zugestimmt und damit den Weg frei gemacht für das Maßnahmenpaket der Ampel zur Finanzierung der Krankenversicherung im kommenden Jahr. Damit steht nun fest, dass die Finanzierungslücke des Jahres 2023 im Wesentlichen von den Beitragszahlenden geschlossen werden muss. Insbesondere werden die Zusatzbeitragssätze zum Jahreswechsel um durchschnittlich 0,3 Beitragssatzpunkte steigen und die Krankenkassen werden angewiesen, im kommenden Jahr weitere 2,5 Mrd. Euro ihrer Reserven an den Gesundheitsfonds abzuführen.

Zuvor hatte sich der GKV-Schätzerkreis eingehend mit der voraussichtlichen Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung im laufenden und im kommenden Jahr befasst. Am 13. Oktober 2022 hatte er seine Finanzprognose bekannt gegeben. Die Finanzexpertinnen und -experten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) und des GKV-Spitzenverbandes hatten sich in allen Punkten einvernehmlich auf die relevanten Schätzgrößen der Jahre 2022 und 2023 verständigt und mit ihrer Prognose die seit längerem für 2023 erwartete Finanzierungslücke von rund 17 Mrd. Euro bestätigt.

Prognose des Schätzerkreises für 2022

Für das laufende Jahr rechnet der Schätzerkreis mit einer Unterdeckung der Ausgaben der Krankenkassen durch die Zuweisungen des Gesundheitsfonds in Höhe von 23 Mrd. Euro. Dieses Delta schließen die Krankenkassen mit den Zusatzbeiträgen ihrer Mitglieder sowie dem Abbau noch vorhandener Reserven. Der tatsächlich erhobene Zusatzbeitragssatz beträgt gegenwärtig durchschnittlich 1,36 Prozent; ausgabendeckend wäre ein durchschnittlicher Satz von 1,46 Prozent.

Mehrere kleine Türmchen mit Geldstücken und Geldscheinen

Prognose des Schätzerkreises für 2023

Für das kommende Jahr erwartet der Schätzerkreis reguläre Einnahmen (Beiträge und Bundesbeteiligung für versicherungsfremde Aufgaben) von rund 263,2 Mrd. Euro. Weiterhin hatten die Expertinnen und Experten zu diesem Zeitpunkt die mit dem Kabinettsentwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vorgesehenen zusätzlichen Gelder aus dem Bundeshaushalt von 3 Mrd. Euro – davon 1 Mrd. Euro als Darlehen – und darüber hinaus vorgesehene Mittelzuflüsse aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds (rund 5 Mrd. Euro) sowie aus den Reserven der Krankenkassen (3,9 Mrd. Euro) zu berücksichtigen. Im Ergebnis standen nach dieser Prognose für das Jahr 2023 Gesamteinnahmen für Zuweisungen an die Krankenkassen in Höhe von rund 275,1 Mrd. Euro zur Verfügung.

Die Ausgaben der Krankenkassen im Jahr 2023 wurden auf rund 299,9 Mrd. Euro geschätzt. Somit hätte sich für die Krankenkassen eine Unterdeckung von rund 24,8 Mrd. Euro ergeben. Dieser nicht durch Zuweisungen des Gesundheitsfonds gedeckte Finanzbedarf hätte rechnerisch einem Zusatzbeitragssatzniveau von etwa 1,5 Prozent entsprochen, also einer Anhebung um durchschnittlich 0,12 Prozentpunkte gegenüber dem für das Jahr 2022 festgelegten Zusatzbeitragssatz von 1,36 Prozent.

Anpassungen des Gesetzgebers führen zu höherem Zusatzbeitrag

Nach der Schätzerkreisprognose nahm der Bundestag allerdings Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Der Gesetzgeber hat die zwangsweise Vermögensabführung der Krankenkassen um 1,4 Mrd. Euro reduziert, um das Risiko einer finanziellen Destabilisierung einzelner Krankenkassen zu vermeiden. Diese Änderung bewirkt allerdings, dass im Gegensatz zur Schätzerkreisprognose im kommenden Jahr nur noch 273,7 Mrd. Euro für die Zuweisungen zur Verfügung stehen. Bei einer unveränderten Ausgabenschätzung vergrößert sich die Unterdeckung nun auf rund 26,2 Mrd. Euro, was einem rechnerischen Zusatzbeitragssatzniveau von etwa 1,6 Prozent entspricht.

Entsprechend hat das BMG am 31. Oktober 2022 den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2023 auch mit 1,6 Prozent bekanntgegeben. Im Ergebnis sind zum Jahreswechsel Beitragssatzanhebungen in der Größenordnung von durchschnittlich 0,3 Prozentpunkten zu erwarten.

Schätzwerte des GKV-Schätzerkreises vom 13.10.2022 für das Jahr 2022 und 2023, in Mrd. Euro, Werte gerundet; für 2023 ergänzende Berücksichtigung der nachfolgend gesetzlich geänderten Vermögensabführung nach § 272b SGB V

  2022 2023
Zuweisungen an die Krankenkassen* 263,7 273,7
Erwartete Ausgaben der Krankenkassen 286,7 299,9
⇨ rechnerische Unterdeckung -23,0 -26,2
⇨ rechnerischer Zusatzbeitragssatzbedarf 1,46 % 1,56 %
vom BMG festgelegter durchschnittlicher Zusatzbeitragssatz 1,3 % 1,6 %
* 2023 inkl. Vermögensabführungen nach § 271 SGB V (Liquiditätsreserve) § 272b SGB V (Krankenkassen)

Ausblick: Reform für finanzielle Stabilität dringend notwendig

Mit dem verabschiedeten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wird bestenfalls die Finanzierungslücke im kommenden Jahr geschlossen. Die gesetzliche Krankenversicherung braucht jedoch mittelfristig finanzielle Stabilität. Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes ist es bedauerlich, dass die Koalition nicht die Kraft gefunden hat, die notwendigen und bereits im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen zur mittelfristigen Stabilisierung der GKV-Finanzierung - die Dynamisierung der Bundesbeteiligung sowie die Anpassung der Beitragszahlungen des Bundes für ALG II-Beziehende – in das beschlossene Gesetz aufzunehmen. Gerade vor dem Hintergrund der hohen Inflationsrate und der massiv steigenden Energiepreise wäre die Vermeidung zusätzlicher Belastungen durch höhere Krankenversicherungsbeiträge für Versicherte und Arbeitgebende wichtig gewesen.

Nunmehr gilt es den Blick auf die weitere Reformdebatte zu richten: Der Bundestag hat dem BMG auferlegt, bis zum 31. Mai 2023 Empfehlungen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorzulegen und bei der Betrachtung insbesondere die Ausgabenseite einzubeziehen. Der GKV-Spitzenverband unterstützt diese Ausrichtung; eine nachhaltige Reformperspektive erfordert es, sowohl die einnahmenseitigen Defizite als auch die Ineffizienzen in den Versorgungsstrukturen zu beseitigen. (kme)

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