Wie ist diese Preisentwicklung zu erklären und welche Ansätze empfehlen sich, um die Ausgaben für neuartige Arzneimittel wieder nachhaltiger zu gestalten? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Gutachtens.
Das AMNOG funktioniert nicht mehr richtig
Ein Argument findet sich in verschiedener Form in dem gesamten Gutachten: Die Preise für neue Medikamente steigen, während der Zusatznutzen oft nicht ausreichend belegt ist. Der Kerngedanke des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (kurz: AMNOG) aus dem Jahr 2011 „Kein Mehr an Kosten ohne ein Mehr an Nutzen“ werde nicht mehr ausreichend gelebt.
Verantwortlich hierfür ist wesentlich, dass zentrale gesetzliche Vorgaben nicht gestärkt, sondern im Gegenteil über die Zeit verwässert wurden. So legten zwischen 2012 und 2024 die Kosten für Tagesbehandlungen mit neuen Wirkstoffen um 176 Prozent zu.
Ideen des SVR zur Kostendämpfung
Unzureichende Evidenz und zugleich hohe und wachsende Preisvorstellungen der pharmazeutischen Unternehmen stellen das solidarische Gesundheitssystem vor enorme Herausforderungen. Der SVR gibt in seinem Gutachten eine Fülle an Optionen, wie das Verhältnis wieder austariert werden kann. Darunter finden sich unter anderem die folgenden Beispiele:
- Einführung eines Interimspreises: Neue Arzneimittel sollen zunächst zum Preis der wirtschaftlichsten Vergleichstherapie abgerechnet werden. Erst nach Bewertung des Zusatznutzens erfolgt eine Preisanpassung, die dem Zusatznutzen folgt. So soll verhindert werden, dass die bislang im AMNOG-Verfahren frei gewählten Einstiegspreise den späteren Erstattungsbetrag verzerren.
- Stärkung der AMNOG-Leitplanken: Diese begrenzen die Preise neuer Medikamente ohne oder mit geringem oder nicht quantifizierbarem Zusatznutzen. Der SVR fordert ihre Stärkung. Die jüngst mit dem Medizinforschungsgesetz eingeführte Ausnahme von den Leitplanken, um die klinische Forschung in Deutschland zu fördern, empfiehlt der SVR wieder zu streichen. Er argumentiert dabei ähnlich wie auch der GKV-Spitzenverband: Beitragsgelder der Versicherten und Arbeitgebenden dienen nicht der Standortförderung.
- Abschaffung der Zusatznutzenfiktion bei Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen: Orphan Drugs sind bislang gesetzlich privilegiert und erhalten automatisch einen therapeutischen Zusatznutzen zugesprochen, mit dem sie höhere Preise durchsetzen können. Nach einer Analyse des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) können allerdings nur die Hälfte dieser Arzneimittel diesen Zusatznutzen mit Studiendaten belegen. Im Interesse der Evidenzgenerierung auch für Patientinnen und Patienten mit seltenen Leiden empfiehlt der SVR, dass Orphan Drugs künftig regelhaft eine vollständige Nutzenbewertung durchlaufen sollten – so wie alle anderen neuen Arzneimittel auch. Der Sonderstatus wäre anschließend ein zu berücksichtigendes Kriterium in den Preisverhandlungen.
- Globales Arzneimittelbudget: Nach dem Vorbild Frankreichs schlägt der SVR ein jährliches Gesamt-Ausgabenlimit für Arzneimittel vor, das an makroökonomische Kriterien gekoppelt ist. Bei Überschreitung würden Hersteller anteilig Rückzahlungen leisten.