Arzneimittel

Ein Autorenbeitrag von Dr. Janin Andres und Dr. Daniel Erdmann

Die Entwicklung des Erstattungsbetrags nach Ablauf von Unterlagen- und Patentschutz

Dezember 2022

Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) feiert zum Jahreswechsel 2022/23 seinen zwölften Geburtstag. Das bedeutet, dass der Patent- und Unterlagenschutz für immer mehr „frühe“ AMNOG-Arzneimittel ausläuft und somit für diese Produkte die Phase des generischen Wettbewerbs beginnt. Doch was folgt aus dieser Entwicklung für die getroffenen AMNOG-Verträge und der darin vereinbarten Erstattungsbeträge?

Dieser Fragestellung hat sich der Gesetzgeber mit dem am 1. April 2020 in Kraft getretenen Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) und noch einmal mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) gewidmet. In § 130b Absatz 8a SGB V gibt der Gesetzgeber vor, dass mit dem Wegfall des Unterlagen- und Patentschutzes eines Arzneimittels der zuletzt gültige Erstattungsbetrag als höchstens zulässiger Abgabepreis für alle Anbieter fort gilt. Dies bedeutet einerseits, dass nach dem Ablauf der o. g. Schutzrechte keine Verhandlungen nach § 130b SGB V mehr möglich sind, sich der Erstattungsbetrag also nicht mehr verändern kann. Andererseits entfallen alle anderen Festlegungen des Vertrages, wie z. B. vereinbarte Praxisbesonderheiten, Mengenregelungen oder aber die Ablösung der Herstellerabschläge.

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den Partnern der Rahmenvereinbarung nach § 130b Absatz 9 SGB V (im Folgenden „RahmenV“), also dem GKV-Spitzenverband und den Verbänden pharmazeutischer Unternehmer, aufgetragen, das Nähere zur Bestimmung des höchstens zulässigen Abgabepreises in die Rahmenvereinbarung aufzunehmen, was im Mai 2022 entsprechend vollzogen wurde.

Bezug der Information zur Dauer des Patent- und Unterlagenschutzes

Die Informationen zur Dauer des Unterlagenschutzes im Sinne des § 130b Abs. 8a SGB V übermittelt das Bundesinstitut für Arznei- und Medizinprodukte an den GKV-Spitzenverband. Dabei werden gemäß Anlage 6 Unterpunkt 2.6 RahmenV sowohl der zehn bzw. elf Jahre währende „Standard“-Vermarktungsschutz sowie weitere besondere Schutzrechte für Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen sowie für Kinderarzneimittel berücksichtigt. Die Laufzeit der Wirkstoffpatente gemäß § 16 und § 16a PatG übermitteln pharmazeutische Unternehmer auf Anfrage an den GKV-Spitzenverband.

Preis-Struktur-Modell

In Anlage 6 Unterpunkt 4 RahmenV wird erläutert, dass ein pharmazeutisches Unternehmen, welches ein wirkstoffgleiches Arzneimittel in Verkehr bringen möchte, den höchstens zulässigen Abgabepreis für die konkret geplante Packung auf Grundlage eines zwischen dem Original-Anbieter und dem GKV-Spitzenverband vereinbarten Preisstrukturmodells ermittelt. Die Preisstrukturmodelle werden dabei wie folgt unterteilt:

  • lineare Bepreisung (also z.B. Preis je mg),
  • flache Bepreisung (also z.B. Preis je angenommener täglicher Erhaltungsdosis) oder
  • komplexe Bepreisung (also z.B. lineare Bepreisung bis zu einem vereinbarten Schwellenwert mit Kostendeckelung bei höheren Dosierungen).

Die dem Preisstrukturmodell zugrundeliegenden Parameter aus der Erstattungsbetragsvereinbarung müssen dabei in Form einer Anlage zur Vereinbarung nach § 130b SGB V zum jeweiligen Wirkstoff festgehalten werden. Diese Anlage wird unverzüglich nach Ablauf von Unterlagen- und Patentschutz auf der Homepage des GKV-Spitzenverbandes veröffentlicht.

Unterschiedliche Pillen in ihren Verblisterungen

Sachstand zur Umsetzung von Preisstrukturmodellen

Mit Stand 9. November 2022 wurden zwei Preisstrukturmodelle veröffentlicht. Diese vergleichsweise geringe Zahl erklärt sich einerseits dadurch, dass für 19 grundsätzlich vom AMNOG betroffene Wirkstoffe zum Zeitpunkt der Ergänzung der RahmenV der Patent- und Unterlagenschutz bereits abgelaufen und für diese Produkte kein Vertragsabschluss nach § 130b SGB V mehr möglich war. Vor dem Hintergrund der Etablierung entsprechender Ablaufprozesse konnte für wenige Wirkstoffe, bei denen die Schutzrechte nach Inkrafttreten der RahmenV ausliefen, kein Preis-Struktur-Modell vereinbart werden.

In Zukunft ist jedoch sicherzustellen, dass für alle AMNOG-Produkte mit einem Vertrag nach § 130b SGB V ein entsprechendes Preis-Struktur-Modell vereinbart wird. Sofern für einen Wirkstoff mit zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten RahmenV bereits abgeschlossenem Vertrag nach § 130b SGB V keine Verhandlungen mehr durchgeführt werden, ist das Preis-Struktur-Modell gemäß § 6a Abs. 2 RahmenV nachträglich rechtzeitig vor Ablauf des Unterlagen- und Patentschutzes in ein bis zwei Verhandlungsrunden zwischen den Vertragspartnern zu vereinbaren. Analog gilt gemäß § 6a Abs. 4 RahmenV für Arzneimittel, die durch den entsprechenden pharmazeutischen Unternehmer aufgrund der rahmenvertraglich zugesicherten Opt-Out-Option den Markt verlassen haben, ebenfalls eine Verpflichtung zur Vereinbarung eines Preis-Struktur-Modells.

GKV-Spitzenverband veröffentlicht Preis-Struktur-Modell

Die vereinbarten Preisstrukturmodelle werden dann durch den GKV-Spitzenverband auf seiner Homepage bereitgestellt. Interessierte Besucherinnen und Besucher können sich entsprechende Wirkstoffe mit hochgeladenen Preis- und Strukturmodellen direkt auf der Übersichtsseite herausfiltern.

Die Homepage enthält ebenfalls eine Information über ausgelaufene Praxisbesonderheiten nach Ablauf der o. g. Schutzfristen. Da die Wirtschaftlichkeitsprüfungen zeitlich verzögert für zurückliegende Zeiträume durchgeführt werden, löscht der GKV-Spitzenverband die Information zur Praxisbesonderheit zunächst nicht, verweist jedoch auf den abgelaufenen Patent- und Unterlagenschutz. Interessierte Kreise können sich bereits heute eine Information zu den Wirkstoffen mit abgelaufenem Unterlagen- und Patentschutz über den auf der Homepage angebotenen RSS-Feed ausgeben lassen.

Informationsrechte für Generikaanbieter

Da die Veröffentlichung des Preisstrukturmodells auf der Homepage des GKV-Spitzenverbandes aufgrund der gesetzlichen Regelung erst nach dem Ablauf von Unterlagen- und Patentschutz erfolgen darf, erreicht diese Information all jene Generikaanbieter zu spät, die ihr Produkt bereits ab Tag 1 nach Ablauf der Schutzrechte des Originalanbieters vermarkten möchten. Deshalb wurde ein spezielles Informationsrecht für Generikaanbieter rahmenvertraglich verabredet. Dieses ermöglicht es, den Anbietern bereits ab einem halben Jahr vor Ablauf von Unterlagen- und Patentschutz den Erstattungsbetrag in Erfahrung zu bringen, der – vorbehaltlich einer nachfolgenden Anpassung – am Tag vor Ablauf des Unterlagen- und Patentschutzes gilt.

Finanzwirksame Sonderregelung für Originalanbieter

Rahmenvertraglich wurde zudem eine Erleichterung für Originalanbieter vereinbart, die in einer bis zum 30. April 2022 in Kraft getretenen Vereinbarung nach § 130b SGB V mit dem GKV-Spitzenverband eine Ablösung des Herstellerabschlages gemäß § 130b Abs. 1 SGB V vereinbart haben. Diese Unternehmen dürfen demnach bis spätestens drei Monate vor Ablauf des Unterlagen- und Patentschutzes eine zum Ablaufdatum der o. g. Schutzrechte wirksam werdenden Anhebung des Erstattungsbetrages um einen Betrag in Höhe der um die Umsatzsteuer bereinigten Herstellerabschläge gemäß § 130a Abs. 1 und 1a SGB V beim GKV-Spitzenverband anmelden. Bei überwiegender Abgabe des Produktes im stationären Sektor kann der Abgabepreis nur entsprechend des Abgabeanteils im ambulanten Sektor angehoben werden. Für alle Verträge, die nach dem 30. April 2022 unterzeichnet wurden und bei denen eine Ablösung des Herstellerabschlages nach § 130a Abs. 1 SGB V vereinbart wurde, gilt die Sonderregelung nicht, sodass eine seitens des betroffenen Originalanbieters entsprechend gewünschte Anhebung des Abgabepreises auf dem regulären vertraglichen Weg ausgehandelt werden müsste.

Erste Einblicke zur Preisentwicklung AMNOG-Arzneimitteln nach Ablauf der Schutzrechte

Das erste AMNOG-Produkt mit einem Markteintritt von Generika war Cabazitaxel im Jahr 2021. Damals wählten Generika-Unternehmen teilweise noch Einstiegspreise oberhalb des fortgeltenden Erstattungsbetrages (vgl. Abb 1). Bei den übrigen AMNOG-Wirkstoffen, bei denen es bis zum Stichtag 1. November 2022 zu Markteintritten von Generika kam, konnte erfreulicherweise hingegen keine überhöhte Preismeldung mehr festgestellt werden.

Abbildung 1: Entwicklung der Abgabepreise von Cabazitaxel-haltigen Arzneimitteln seit Ablauf der Schutzrechte

Grafik zur Entwicklung der Abgabepreise von Cabazitaxel-haltigen Arzneimitteln seit Ablauf der Schutzrechte

Ergänzend kann auch zu Cabazitaxel erwähnt werden, dass mehr als ein Jahr nach dem Auslaufen der o. g. Schutzfristen die Abgabepreise bei den Anbietern mit zunächst zu hohen Preismeldungen deutlich gesunken sind und neue Wettbewerber mit Preisen deutlich unterhalb der Preisobergrenze eingestiegen sind. Wenn Cabazitaxel als parenterale Zubereitung abgerechnet wird, ist zu beachten, dass die Regelungen der Hilfstaxe zu befolgen sind.

Drei Tendenzen auf dem Generikamarkt

Generell sind mit dem Markteintritt generischer Wettbewerber drei Tendenzen zu beobachten. Erstens betreten mit dem Ablauf der Schutzrechte Anbieter in den Markt, deren Abgabepreise teilweise deutlich unterhalb des Preises des Originalanbieters liegen. Die Spanne reicht dabei bis zu derzeit 79 Prozent Preisreduktion verglichen mit der Höhe des fortgeltenden Erstattungsbetrages. Große Preisrückgänge ereigneten sich zuletzt v.a. bei Arzneimitteln mit einem großen jährlichen Marktvolumen von mehreren Hundert Millionen Euro (z.B. Sitagliptin und Abirateron). Des Weiteren senken (fast) alle generischen Wettbewerber 14 Tage nach der ersten Meldung den Abgabepreis, vermutlich um hierdurch den sog. Generikaabschlag gemäß § 130a Abs. 3b zu vermindern bzw. komplett abzulösen. Drittens verharren die von den Originalanbietern gemeldeten Abgabepreise zumeist auf der Höhe des fortgeltenden Erstattungsbetrages.

Die folgenden beiden Abbildungen zu den Wirkstoffen Sitagliptin und Abirateron sind zwei Beispiele dieser oben aufgezeigten Tendenzen.

Abbildung 2: Entwicklung der Abgabepreise von Sitagliptin-haltigen Mono-Substanzen seit Ablauf der Schutzrechte

Grafik zu Erstattungsbeträgen beim Wirkstoff Sitagliptin

Abbildung 3: Entwicklung der Abgabepreise von Abirateron-haltigen Arzneimitteln seit Ablauf der Schutzrechte

Grafik zur Entwicklung der Abgabepreise von Abirateron-haltigen Arzneimitteln seit Ablauf der Schutzrechte

Im Gegensatz zu den in den Abbildungen 2 und 3 abgetragenen Beispielen sind beim Wirkstoff Vildagliptin mit einem Jahresumsatz im einstelligen Millionenbereich weniger Markteintritte zu verzeichnen. Während bei Sitagliptin von zwei Anbietern mit drei Wirkstärken (25 mg, 50 mg, 100 mg) und zwei Packungsgrößen (28 und 98 Tabletten) zum 1. November 2022 weitere 116 Packungen in diversen Wirkstärken und Packungsgrößen verfügbar gemacht wurden, sind bei Vildagliptin (vgl. Abb. 4) weniger Wettbewerber vertreten (acht weitere Packungen in zwei verschiedenen Packungsgrößen). Des Weiteren fallen die Preisabschläge bei Vildagliptin mit max. 41 Prozent geringer aus als bei Sitagliptin, wenngleich auch die Erstattungsbeträge zum Zeitpunkt des Auslaufens der jeweiligen Schutzrechte relativ stark voneinander divergierten.

Abbildung 4: Entwicklung der Abgabepreise von Vildagliptin-haltigen Mono-Substanzen seit Ablauf der Schutzrechte

Grafik zur Entwicklung der Abgabepreise von Vildagliptin-haltigen Mono-Substanzen seit Ablauf der Schutzrechte

Fazit

Die obige Auswertung zeigt also, dass die Versorgung einzelner Patientinnen und Patienten mit den vier analysierten Wirkstoffen nach dem Eintritt von Generika deutlich günstiger möglich ist als dies vor dem Eintritt der Wettbewerber möglich ist. Ob sich die Ausgaben der GKV insgesamt für den betreffenden Wirkstoff reduzieren, liegt dann in einem weiteren Schritt vor allem an der Mengenentwicklung.

Über die Autorin und den Autor

Dr. Daniel Erdmann

Dr. Daniel Erdmann, Fachreferent beim GKV-Spitzenverband

Dr. Daniel Erdmann ist Diplom-Volkswirt und arbeitet als Teamleiter Querschnittsaufgaben im Referat AMNOG EBV in der Abteilung Arznei- und Heilmittel des GKV-Spitzenverbandes.

Dr. Janin Andres

Dr. Janin Andres, Fachreferentin beim GKV-Spitzenverband

Dr. Janin Andres ist Diplom-Biochemikerin und arbeitet als Verhandlungsführerin im Referat AMNOG EBV in der Abteilung Arznei- und Heilmittel des GKV-Spitzenverbandes.

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