Serie: Qualitätssicherung für bessere Versorgung

Strahlenschutz – ein wichtiger Qualitätsaspekt von Herzkatheter-Untersuchungen

Dezember 2023

Erkrankungen der Herzkranzgefäße (Koronararterien) sind in Deutschland häufige und chronische Volkskrankheiten. Die Herzkatheteruntersuchung (Koronarangiographie) ist ein wichtiges Verfahren zur Diagnostik von Erkrankungen der Herzkranzgefäße. Im Jahr 2022 wurden Daten zu 451.679 Herzkatheteruntersuchungen (isolierten Koronarangiographien) von 1.200 Einrichtungen im Rahmen der externen stationären Qualitätssicherung erfasst [1]. Der hier vorgestellte Indikator hat die Reduktion der Strahlenlast zum Ziel und ist damit wichtig für die Patientensicherheit.

Bei der Koronarangiographie handelt es sich um eine spezielle Form der Röntgenuntersuchung, bei der über einen Katheter ein Kontrastmittel in die Herzkranzgefäße gegeben wird. Mithilfe der Röntgenstrahlen wird das Kontrastmittel in den Herzkranzgefäßen sichtbar und es lassen sich Veränderungen, wie Verengungen (Stenosen) oder Verschlüsse, erkennen.

Strahlenschutz

Bei Röntgenstrahlen handelt es sich um ionisierende Strahlen, die im Zellgewebe zu Veränderungen führen können. Normalerweise ist die Zelle in der Lage, diese Veränderungen zu reparieren, sodass keine negativen Folgen auftreten. Bei einer Bestrahlung mit sehr hohen Strahlendosen können diese Zellvorgänge gestört sein, sodass die Zelle abstirbt oder es zu Schäden im Erbmaterial kommt.

Ob und in welchem Ausmaß eine Röntgenstrahlung zu einem gesundheitlichen Schaden führt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem der Strahlenmenge, Strahlenart und welches Organ oder Gewebe betroffen ist [1]. Die invasive Kardiologie, zu der die Koronarangiographie zählt, ist mit einer erheblichen Strahlenbelastung verbunden [2].

Um die Risiken der Strahlung so gering wie möglich zu halten, müssen Ärztinnen und Ärzte die Grundsätze des Strahlenschutzes

  • Rechtfertigung
  • Dosisbegrenzung
  • Optimierung [3]

im Umgang mit Röntgenstrahlen beachten. Dies bedeutet, dass für jeden Einzelfall eine rechtfertigende Indikation zu stellen und jede Strahlenanwendung zu optimieren ist. Die Belastung mit Röntgenstrahlen soll bedarfsgerecht und so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar sein. Dies wird auch als ALARA-Prinzip („as low as reasonably achievable“) bezeichnet [4]. Für die Anwendung am Menschen kontrolliert, aktualisiert und veröffentlicht das Bundesamt für Strahlenschutz (BFS) regelmäßig diagnostische Referenzwerte (DRW) für die verschiedenen Strahlenanwendungen. Die diagnostischen Referenzwerte gelten für Standardanwendungen an Standardpatientinnen und -patienten bei üblicher Geräteausstattung und geben den Ärztinnen und Ärzten Orientierung. Der Arzt bzw. die Ärztin hat bei jeder Untersuchung eine Abwägung zwischen Bildqualität, Sicherheit und Strahlenschutz zu treffen [4].

Qualitätsindikatoren zum Dosis-Flächen-Produkt

Im Verfahren „Perkutane Koronarintervention und Koronarangiographie“ (Verfahren QS PCI) erfolgt eine Qualitätssicherung der Strahlenbelastung. Dabei wird für jede Untersuchung die Strahlenlast dokumentiert und auf Ebene der Einrichtung betrachtet. Die Strahlenbelastung während der Herzkatheteruntersuchung wird als Dosis-Flächen-Produkt gemessen. Die gebräuchliche Maßeinheit ist cGY x cm2 (Zenti-Gray x Quadratzentimeter) [4]. Durch verschiedene Maßnahmen wie z. B. Einblendung der bestrahlten Körperfläche, gepulste Durchleuchtung, Position des Tisches und der Röntgenröhren und Untersuchungstechniken kann Einfluss auf das Dosis-Flächen-Produkt genommen werden [2]. Das Qualitätsziel ist ein möglichst niedriges Dosis-Flächen-Produkt.

Ein Arzt führt eine Herzkatheteruntersuchung durch

In diesem Artikel wird der Qualitätsindikator „Isolierte Koronarangiographien mit Dosis-Flächen-Produkt über 2.800 cGY x cm2 näher betrachtet. Dieser Qualitätsindikatorerfasst die Strahlenlast im Rahmen einer rein diagnostischen Herzkatheteruntersuchung ohne weitere therapeutische Maßnahmen. Der im Indikator angegebene Wert von 2.800 cGY x cm2 für das Dosisflächenprodukt orientiert sich an dem bisherigen diagnostischen Referenzwert vom Bundesamt für Strahlenschutz. Der Indikator „Dosis-Flächenprodukt unbekannt“ überprüft die Dokumentationsqualität.

Risikoadjustierung

Neben den ärztlichen und technischen Maßnahmen gibt es auch patientenindividuelle Besonderheiten, wie z. B. Körpergröße und Körpergewicht, die Einfluss auf das Dosis-Flächen-Produkt haben. Diese patientenindividuellen Risikofaktoren kann die Ärzteschaft in der Regel nicht beeinflussen und sie können sich zwischen den Einrichtungen unterscheiden. Um ei­nen ange­mes­se­nen und fai­ren Ver­gleich der Er­geb­nis­se zu er­mög­li­chen, müssen diese Risikofaktoren berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung von Risikofaktoren bei der Berechnung eines Qualitätsindikators wird als Risikoadjustierung bezeichnet.

Bei dem Qualitätsindikator „Isolierte Koronarangiographien mit Dosis-Flächen-Produkt über 2.800 cGY x cm2 handelt es sich um einen risikoadjustierten Qualitätsindikator. Erfasst wird das Verhältnis der beobachteten Rate („O“ = „observed“), also der tatsächlichen Häufigkeit von Dosis-Flächen-Produkten über dem Referenzwert, zur erwarteten Rate („E“ = „expected“), also der theoretischen Zahl von Dosis-Flächen-Produkten über dem Referenzwert, die bei einem Leistungserbringer aufgrund des Risikoprofils der behandelten Patientinnen und Patienten „erwartet“ werden kann.

Ist das Verhältnis der beobachteten zur erwarteten Rate (O/​​E = „observed“ / „expected“) genau 1, so entspricht die Anzahl der beobachteten Überschreitungen des Referenzwertes der Anzahl der erwarteten Überschreitungen. Bei einem Wert größer als 1 ist die Anzahl der beobachteten Überschreitungen höher als erwartet, bei einem Wert kleiner als 1 niedriger als erwartet. Für das Bun­des­er­geb­nis liegt der O/​E-Wert me­tho­den­be­dingt im­mer nahe 1 und hat da­her nur we­nig Aussa­ge­kraft. Aus­sa­ge­kräf­tig ist die­ser Wert je­doch für eine Be­wer­tung bzw. ei­nen Ver­gleich der Ergeb­nis­se ein­zel­ner Einrichtungen.

Ergebnisse der Qualitätsindikatoren zum Dosis-Flächen-Produkt

In Tabelle 1 sind die Ergebnisse der zwei Qualitätsindikatoren für die Jahre 2019 bis 2022 dargestellt. Es zeigt sich, dass für die Koronarangiographie die Anzahl der Überschreitungen des Referenzwertes seit 2019 deutlich rückläufig ist. Lag im Jahr 2019 die Überschreitung des Dosis-Flächen-Produkts von 2.800 cGY x cm2 für die isolierte Koronarangiographie noch bei 14,74 Prozent aller Untersuchungen, so betrug der Anteil im Jahr 2022 nur noch 10,58 Prozent.

Tabelle 1: Isolierte Koronarangiographie mit DFP > 2.800 cGY x cm2

Bundesergebnisse der Qualitätsindikatoren der Jahre 2019 bis 2022
DFP = Dosis-Flächen-Produkt
*Nachkommastellen sind nicht aufgeführt
Quellen: EJ 2019: Bundesqualitätsbericht 2020 [5], EJ 2020: Bundesauswertung 2021 [6], EJ 2021: Bundesauswertung 2022 [7], EJ 2022: Bundesqualitätsbericht 2023 EJ 2022: Bundesqualitätsbericht 2023 [1]

Erfassungsjahr 2019 2020 2021 2022
Bundeswert der rohen Rate (Anzahl Überschreitungen / Anzahl Eingriffe) 14,74 % (74.915 / 508.206) 13,38 %
(60.771 / 454.157)
12,03 %
(55.760 / 463.398)
10,58 %
(47.691 / 450.740)
Verhältnis beobachtete / erwartete Rate (O / E) 1,02
(74.915 / 73.762)*
0,91
(60.771 / 66.696)*
0,90
(55.760 / 62.120)*
0,89
(47.691 / 53.487)*
Referenzbereich (O / E) ≤ 2,30
(95. Perzentil)
≤ 2,15
(95. Perzentil)
≤ 1,60 (95. Perzentil) ≤ 1,65
(95. Perzentil)

Ergebnisse des Stellungnahmeverfahrens

Aus rechnerisch auffälligen Ergebnissen der Qualitätsindikatoren kann nicht direkt abgeleitet werden, dass ein Qualitätsproblem vorliegt. Wird eine Einrichtung „rechnerisch auffällig“, so analysieren Expertinnen und Experten, ob möglicherweise besondere Umstände bzw. Einflussfaktoren, die in der Risikoadjustierung nicht angemessen berücksichtigt wurden, das auffällige Ergebnis beeinflusst haben können. Für die Qualitätsindikatoren zum Dosis-Flächen-Produkt hatte in den Erfassungsjahren 2021 und 2022 ein hoher Anteil der Einrichtungen bereits im Vorjahr rechnerisch auffällige Ergebnisse [1]. Umso wichtiger ist die Klärung, ob die Einrichtungen auch „qualitativ auffällig“ sind, also ein echtes Qualitätsdefizit aufweisen oder nicht.

Tabelle 2: Anteil der qualitativ auffälligen Leistungserbringer für die Qualitätsindikatoren

DFP = Dosis-Flächen-Produkt

Quellen: EJ 2019 und 2020 Bundesqualitätsbericht 2022 Tabelle 19 S. 50-51 [8]; EJ 2021 Bundesqualitätsbericht 2023 Tabelle 21 S. 71-73 [1]

Indikator Erfassungs-
jahr
Anzahl Einrichtungen mit Indikator-ergebnissen Davon rechnerisch auffällige Einrichtungen Davon qualitativ auffällige Einrichtungen
„Isolierte Koronar-angiographie mit DFP > 2.800 cGY x cm2 2019 1.180 74 / 1.180 (6,27 %) 34 / 74
(45,95 %)
2020 1.228 83 / 1.228
(6,76 %)
27 / 83
(32,53 %)
2021 1.194 60 / 1.194 (5,03 %) 25 / 60
(41,67 %)

Als Ursache für qualitative Auffälligkeiten wurden im Stellungnahmeverfahren relevante Struktur- und Prozessmängel berichtet, wie z. B. die Verwendung „veralteter Anlagen“ oder „Vorgehensweisen, die von etablierten Standards abweichen“. Es wurden mit einer Reihe von Einrichtungen konkrete Verbesserungsmaßnahmen vereinbart [1).

Aus den Ergebnissen des Stellungnahmeverfahrens ist ersichtlich, dass es sich bei den Indikatoren zum Dosis-Flächen-Produkt um wichtige und hoch wirksame Indikatoren zur Verbesserung der Patientensicherheit handelt.

Zusammenfassung

Dem Strahlenschutz kommt in Deutschland eine hohe Bedeutung zu, denn Strahlung birgt das potenzielle Risiko eines gesundheitlichen Schadens. Das Ergebnis des Qualitätsindikators „Isolierte Koronarangiographie mit DFP > 2.800 cGY x cm2“ zeigt, dass der bisherige Referenzwert für die Koronarangiographie von den Einrichtungen immer seltener überschritten wurde. Im Stellungnahmeverfahren weist dieser Qualitätsindikator jedoch nur eine leichte Verbesserung der qualitativ auffälligen Ergebnisse von 2019 bis 2021 auf. Aus den Ergebnissen des Stellungnahmeverfahrens ist ersichtlich, dass es sich bei dem Indikator „Isolierte Koronarangiographie mit DFP > 2.800 cGY x cm2“ um einen sehr wirksamen Indikator handelt. Eine ständige Optimierung der Röntgenanwendung zur Reduktion der Strahlenlast stellt einen Grundsatz in der Behandlung aller Patientinnen und Patienten dar, welcher durch die Qualitätsindikatoren zum Dosis-Flächen-Produkt im Verfahren QS PCI wirkungsvoll unterstützt wird.

Der Ar­ti­kel ist mit Un­ter­stüt­zung des Kom­pe­tenz-Zen­trums Qua­li­täts­si­che­rung KCQ des Me­di­zi­ni­schen Di­ens­tes Ba­den-Würt­tem­berg ent­stan­den (pfo).

Über die Serie

Patientinnen und Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sie in Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen qualitativ hochwertig und auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse versorgt werden. Daher hat der Gesetzgeber verschiedene Maßnahmen der Qualitätssicherung vorgesehen, zum Beispiel, welche technische Ausstattung und Qualifikationen von Ärzten, Ärztinnen und Pflegepersonal notwendig sind (Strukturqualität), wieviel Erfahrung und Expertise vorhanden sein sollte (Mindestmengen), wie die Versorgungsprozesse optimal gestalten werden können (Qualitätsmanagement) und auch, dass über Behandlungsergebnisse (Ergebnisqualität) öffentlich berichtet werden muss (Qualitätsberichte Krankenhäuser). So können die Patientinnen und Patienten sich über die Qualität informieren und diese bei der Wahl z. B. eines Krankenhauses für einen bestimmten Eingriff berücksichtigen. Für die Umsetzung dieser Vorgaben hat der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) damit betraut, durch Richtlinien und Beschlüsse verbindliche Regelungen für die Krankenhäuser, Arzt- und Zahnarztpraxen aber auch für die Krankenkassen zu erlassen.

Der GKV-Spitzenverband ist als ein Träger des G-BA in den jeweiligen Gremien und Arbeitsgruppen des G-BA an der Ausgestaltung und Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung maßgeblich beteiligt und setzt sich insbesondere dafür ein, die Qualität der Behandlungen für die gesetzlich Versicherten sichtbar zu machen. Die gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien des G-BA sind jedoch oftmals schwer zu verstehen, und Qualitätsergebnisse nicht einfach in ihrer Bedeutung zu bewerten. Daher stellen wir in jeder Ausgabe von 90 Prozent einen bestimmten Aspekt der Qualitätssicherung ausführlich vor, um einerseits das wichtige Thema Qualitätssicherung bekannter zu machen und andererseits Hilfestellung zu bieten, die Ergebnisse besser zu verstehen.

In der Se­rie sind bisher fol­gen­de Ar­ti­kel er­schie­nen:

Literatur

1. IQTIG. Bundesqualitätsbericht 2023. 2023. https://iqtig.org/downloads/berichte/2023/IQTIG_Bundesqualitaetsbericht-2023_2023-11-08.pdf (Zugriff: 15.11.2023)

2. Bundesamt für Strahlenschutz. Ionisierende Strahlung. https://www.bfs.de/DE/themen/ion/wirkung/einfuehrung/einfuehrung.html (Zugriff: 07.07.2023)

3. Schächinger V, Nef H, Achenbach S et al. Leitlinie zum Einrichten und Betreiben von Herzkatheterlaboren und Hybridoperationssälen/Hybridlaboren. Der Kardiologe 2015; 9: 89-123

4. Bundesamt für Strahlenschutz. Grundsätze des Strahlenschutzes https://www.bfs.de/DE/themen/ion/strahlenschutz/einfuehrung/grundsaetze/grundsaetze.html (Zugriff: 07.07.2023)

5. Schegerer A, Loose R, Heuser LJ et al. Diagnostic Reference Levels for Diagnostic and Interventional X-Ray Procedures in Germany: Update and Handling. Rofo 2019; 191: 739-751

6. IQTIG. Bundesqualitätsbericht 2020. 2020. https://iqtig.org/downloads/berichte/2019/IQTIG_Bundesqualitaetsbericht-2020_2020-12-14.pdf (Zugriff: 17.07.2023)

7. IQTIG. Bundesauswertung Perkutane Koronarintervention (PCI) und Koronarangiographie Erfassungsjahre 2019 und 2020. 2021. https://iqtig.org/downloads/auswertung/2020/pci/DeQS_PCI_2020_BUAW_V01_2021-11-25.pdf (Zugriff: 17.07.2023)

8. IQTIG. Bundesauswertung Perkutane Koronarangiographie (PCI) und Koronarangiographie Erfassungsjahre 2020 und 2021. 2022. https://iqtig.org/downloads/auswertung/2021/pci/DeQS_PCI_2021_BUAW_V01_2022-10-06.pdf (Zugriff: 17.07.2023)

9. IQTIG. Bundesqualitätsbericht 2022. 2022. https://iqtig.org/downloads/berichte/2022/IQTIG_Bundesqualitaetsbericht-2022_2022-10-28.pdf (Zugriff: 24.07.2023)

10. Bundesamt für Strahlenschutz. Bekanntmachung der aktualisierten diagnostischen Referenzwerte für diagnostische und interventionelle Röntgenanwendungen vom 17. November 2022. 2022. https://www.bfs.de/SharedDocs/Downloads/BfS/DE/fachinfo/ion/drw-roentgen.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (Zugriff: 21.07.2023)

11. IQTIG. Beschreibung der Qualitätsindikatoren und Kennzahlen nach DeQS-RL (Prospektive Rechenregeln) Perkutane Koronarintervention (PCI) und Koronarangiographie Erfassungsjahr 2023. 2022. https://iqtig.org/downloads/auswertung/2023/pci/DeQS_PCI_2023_QIDB-RR-P_V01_2022-02-18.pdf (Zugriff: 04.09.2023)

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